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Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Titel: Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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auf den alten Fotos kann man mühelos erkennen, was die beiden aneinander gefunden haben. Mein Zuhause war ein riesiges Haus in Beacon Hill, der Angebergegend von Boston. Als ich klein war, bestand meine Strategie darin, unauffällig zu sein. Kennst du die Romane von Bret Easton Ellis? Die Typen, die auf solche super exklusiven Schulen gingen wie ich, waren ebenso kaputt und dekadent wie die Eltern, die sie dorthin schickten. Na ja, um die lahme Geschichte abzukürzen: ich wollte Zeichner werden, aber mein Vater sah mich in Harvard Jura oder Financial Management studieren. Also habe ich den Zug genommen. Allerdings nur im übertragenen Sinne. In Wirklichkeit bin ich per Anhalter gereist. Das ist eigentlich alles. So kam ich hier an. Heute arbeite ich für diese Werbeagentur, drüben in Manhattan. Ich zeichne, wann immer es geht, und ich habe in all den Jahren nicht einmal mehr daran gedacht, einen Zug zurück nach Boston zu nehmen. Deswegen kann ich Holly Golightly so gut verstehen. Es ist eigentlich alles ganz einfach. Hier bin ich daheim, in Brooklyn. Nirgendwo anders mehr.
    Holly_Go!
    Du hast Hobden geschrieben. Mit einem E. Nicht Hobdon.
    Alex Hobdon
    Als ich in NY ankam, dachte ich, das sei eine gute Idee. Eigentlich denke ich das noch immer. Ein einziger Buchstabe, aber er kann die ganze Welt ausmachen. Aus Hobden wurde Hobdon. Alex Hobdon, das bin ich. Ich bin nie Alexander Kenneth Hobden gewesen.
    Holly_Go!
    Ich bin Faye. Schreiben wir uns morgen?
    Alex Hobdon
    Ganz sicher. Es ist wirklich schon spät …
    Holly_Go!
    Wohl eher früh … J
    Alex Hobdon
    Ziemlich früh.
    Holly_Go!
    Bis morgen, Alex.
    Alex Hobdon
    Bis morgen, Faye Archer.
    Sie rieb sich müde die Augen, starrte den leuchtenden Bildschirm an. Sie las ihren Namen mehr als nur ein einziges Mal. Ihren Namen, den er gerade geschrieben hatte, wo immer er auch wohnte und wo immer er auch jetzt seine Reisetasche packte. Warum hatte sie ihn nicht gefragt, wo er wohnte? Sie spürte, wie die Müdigkeit, die all die Stunden geduldig gewartet hatte, schlagartig von ihr Besitz ergriff. Sie schaltete den Laptop aus und stellte ihn auf den Boden neben der Couch. Sie schaute ihn lange an, als sei er eine geheimnisvolle Pforte zu einem anderen Land. Er war nur ein Schatten in der Dunkelheit der Wohnung, leicht gestreift vom durch das Fenster einfallenden Licht. Draußen, in den Straßen, würden die Geräusche der herbstkühlen Nacht bald von denen des anbrechenden Morgens abgelöst werden.
    Die Augen zu schließen war ganz einfach. »Alex Hobdon«, flüsterte sie so leise, dass nicht einmal sie selbst es richtig hören konnte.

4
    Ein paar Stunden später: ein goldener Morgen.
    Die Stadt brummend und summend, mittlerweile vollständig erwacht, sich ihrer Lieder bewusst und im Licht treibend. Die Szenen mit leichter Hand aneinandergereiht: Kinder auf dem Weg zur Schule. Ein alter Mann vor dem Kiosk mit der Packung Schimmelpennincks in der Hemdstasche. Eine Frau, die ihren Hund an der Leine führt. Männer, die einen grünen Lieferwagen entladen und die Kartons mit chinesischen Schriftzeichen und offene Kisten voller Tomaten, Salate und Südfrüchte pfeifend oder äußerst laut schwadronierend in den Gemüseladen an der Pineapple Street schleppen. Müde Passanten, die auf dem Gehweg vor dem River Café stehen und mit ihren Smartphones beschäftigt sind. Eine rote Ampel, die von der jungen Frau mit den Jeans und dem blau-weiß gestreiften Shirt, dem leicht um den Hals geschlungenen Schal und der schräg auf dem Kopf sitzenden Mütze ignoriert wird.
    Der Buchladen, der seine Tür gerade geöffnet hat, wie jeden Tag, um draußen, wie immer bei gutem Wetter, die Holzkisten mit all den gebrauchten, preisreduzierten Taschenbüchern zu platzieren.
    »Entschuldige.«
    »Du siehst verschlafen aus.«
    Faye nahm die Sonnenbrille ab. »Ich fühle mich auch so.«
    »Du hast verschlafen.« Das war eine winzig kleine Zurechtweisung. Sie war nicht zu müde, um sie zu erkennen.
    »Tut mir leid.«
    Mica konnte es nicht leiden, wenn die Ordnung der Dinge gestört wurde. Die Tatsache, dass er, einen metallenen Eimer und eine Schaufel in der Hand, vor dem Laden auf dem Gehweg stand, ließ einige Deutungen zu. Ein Haufen dunkler Erde lag zwischen tönernen Scherben. So, wie er aussah, war er jetzt nicht in der Stimmung, ihre Version einer langen Nacht mit vielen E-Mails zu hören.
    »Diese Gisela!«, schimpfte er und hob den Blick.
    Faye seufzte.
    Wenn der Tag so begann, konnte es

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