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Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Titel: Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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ihn damals gesehen hatte. Wie er in seiner sportlichen Kleidung am Strand auf und ab ging, das wallende blonde Haar im Wind, dazu bestimmt, auf Tennisplätzen bewundert zu werden. »Ich musste dich einfach anrufen. Okay, ich weiß, es ist noch früh, aber ich wollte deine Stimme hören …«
    »Lass das!«
    »Ich bin in zwei Tagen wieder in der Stadt.«
    Faye setzte sich äußerst langsam auf der Matratze auf. Ihr dunkles Haar fiel ihr ins Gesicht. »Ich wusste nicht einmal, dass du fort warst.« Warum redete sie überhaupt mit ihm?
    »Ich hatte eine Gastprofessur in Paris. An der Sorbonne.«
    Klingt nach Frühstück, dachte sie.
    »Ein Jahr lang«, fuhr er fort.
    Das war doch verrückt. »Du hast mich immer aus Paris angerufen?« Hin und wieder hatte er sich bei ihr gemeldet, meistens spontan, so wie jetzt, zu unmöglichen Zeiten und vornehmlich, wenn er etwas angetrunken war, tief in Selbstmitleid versunken, einer potenziellen Affäre nachtrauernd.
    »Du bist es wert, dass man dich von jedem Ort der Welt aus anruft«, sagte er.
    »Oh, bitte!«
    »In zwei Tagen«, versuchte er sie zu ködern. »Wir gehen essen und reden.«
    »Vergiss es.«
    »Faye.«
    »Wir sind nicht mehr zusammen. Und du bist jetzt verheiratet.«
    »Ich war mit ein paar Frauen ausgegangen, nachdem wir uns getrennt hatten.«
    »Schön.«
    »Weißt du, was ihr Fehler war?«
    Nein, das wusste sie nicht.
    »Sie alle waren nicht du.«
    »Ian, die meisten Frauen, die da draußen herumlaufen, sind nicht ich.«
    »Ich liebe dich noch.«
    »Nein, tust du nicht.«
    »Ich vermisse dich.«
    »Tust du auch nicht.«
    »Du hättest die Telefonnummer ändern können, wenn du wirklich nicht mehr mit mir hättest reden wollen.« Hörte sie da vielleicht einen Hoffnungsschimmer in seiner Stimme?
    »Ich bin zu faul, um die Telefonnummer ändern zu lassen.«
    »Vermisst du es denn gar nicht, mit …«
    »Nein.« Sie drückte die Gabel nach unten, legte den Hörer neben das Telefon in den Koffer, ließ sich auf die Matratze zurücksinken, wickelte sich wie eine Katze ins Bettzeug ein und schloss die Augen.
    Irgendwann spürte sie dann die Sonne auf ihrem Gesicht, und der Wecker, das rostige alte Ding, klingelte laut und scheppernd. Faye Archer stand auf, wankte unbeholfen auf kalten, nackten Füßen durch die Wohnung zur Küchenzeile, machte sich einen Kaffee, ging damit zum Fenster, öffnete es und sog die frische Morgenluft ein.
    Die Geräusche ihrer Welt tauchten den ganzen Stadtteil in das goldene Licht des Spätsommers, und das Gefühl, eine Melodie, die sie nur flüchtig im Vorbeigehen auf der Straße gehört hatte, mühelos pfeifen zu können, beschlich sie, während sie noch schlaftrunken aus dem Fenster schaute. Brooklyn Heights begrüßte sie mit dem unaufdringlichen Rauschen der Blätter der Bäume, die die Häuser in der Montague Street säumten, jene Sandsteinhäuser, deren Fenster und Türen wie Gesichter anmuteten und die allesamt kleine Treppen hatten, die zu den Eingängen hinaufführten. Die Autos fuhren langsam, weil man nicht wissen konnte, wo und wann jemand die Straße kreuzte. Die Passanten auf den Gehwegen bewegten sich da schon schneller, zumindest um diese Uhrzeit, weil sie die U-Bahn rüber nach Manhattan erwischen wollten oder einen Job in Downtown hatten. Kinder gingen in Gruppen zur Schule, ein Müllwagen hielt vor dem Haus. Zwei Männer in Overalls packten die Müllsäcke und warfen sie hinten in den Wagen. Einer von ihnen, bärtig und groß wie die Männer in Minnesota, schaute nach oben. Faye, die mit ihrer Tasse Kaffee am Fenster stand, winkte ihm lächelnd zu. Er winkte zurück, nicht so überrascht, wie er hätte sein müssen – er hatte die junge Frau, die oben im ersten Stock von Nr. 28b am Fenster stand, immerhin noch nie zuvor gesehen. Andererseits grüßten die Menschen einander in dieser Gegend, zumindest in manchen Straßen. Man sah oft die gleichen Gesichter, Tag für Tag, und ohne zu wissen, wie die Namen der Menschen lauteten und was für ein Leben sie führten, hatte man doch den Eindruck, sie zu kennen. Wenn man neu hinzugezogen war, dann fühlte man sich nicht allein. Das war das Erste, was Faye damals aufgefallen war. Okay, man war zwar allein, weil man niemanden wirklich kannte, aber man hatte das Gefühl, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein – und das war allemal besser, als dieses Gefühl nicht zu haben.
    Sie seufzte und dachte an ihren Einzug in diese Wohnung; ihre Besitztümer hatten mühelos in einen geliehenen

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