Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
sehen müssen? Vielleicht hatte sie ihn einfach nicht erkannt? Blöde Kuh, schimpfte sie stumm. Dann stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden. Es war eine Geste der Verzweiflung, die einzige, die ihr blieb. Fest, ganz fest, auch wenn es nicht half. »Mist«, fluchte sie erneut und stampfte noch mal mit dem Fuß auf.
Der einzige Kunde, der sich im Laden befand, stellte zögerlich das Buch, in dem er gelesen hatte, ins Regal zurück und verließ schleunigst den Laden.
»Hat er nach mir gefragt?«, fragte Faye schließlich.
Mica schüttelte den Kopf. »Er hat nach dem Notizbuch gefragt.«
»Skizzenbuch«, verbesserte Faye ihn instinktiv.
»Danach hat er gefragt.«
»Sonst nichts?«
»Er war froh, dass er es wiedergefunden hatte. Dann ist er gegangen.«
Faye betrachtete die alten Bücher in der Kiste vor sich. »Und nach mir hat er gar nicht gefragt?«
Mica schüttelte erneut den Kopf. »Tut mir leid.«
Faye schluckte, fasste sich, machte eine fuchtelnde Stummfilmbewegung mit den Armen und reckte das Kinn trotzig dem Nachmittag entgegen. »Na, dann …« Sie spürte, wie sich ihre Mundwinkel verzogen. »Ist auch egal.«
Mica kam auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Tee?«
Faye Archer ging hinüber zur Leseecke und ließ sich auf einen der Stühle fallen. »Was sonst?«, seufzte sie enttäuscht und schaute sehnsüchtig zur Tür, wo leider niemand stand und das Licht viel zu golden war für einen Tag wie diesen, an dem nichts so lief, wie es eigentlich sollte.
Keine zwei Stunden später meldete sich Dana. »Es tut mir so leid, aber es hat sich ein Termin dazwischengedrängelt.«
»Passiert«, sagte Faye. Dass sich Termine » dazwischendrängelten«, kam bei Dana häufig vor.
»Du hörst dich deprimiert an. Bist du noch im Buchladen?«
»Ja.«
»Deprimiert oder im Buchladen?«
»Beides.« Wobei deprimiert ein wenig übertrieben war. Der Tag war nicht so gelaufen, wie sie es sich erhofft hatte, aber der Tag war ja auch noch nicht vorbei. Trotzdem rückte sie die Aussage nicht zurecht. Ein wenig Dramatik tat jetzt ganz gut.
»Was ist mit diesem George?«
»Er heißt nicht George.«
Dana Carter neigte dazu, alle Männer, die sie interessant fand, als George zu bezeichnen.
»George Clooney ist der letzte männliche Mann.«
Faye hatte sich das unzählige Male angehört. Sie wusste, dass es aussichtslos war, George Clooneys sexuelle Identität zu hinterfragen. Dana Carter war seinen Filmen und ihm schlichtweg verfallen.
»Eines Tages werde ich ihn treffen, ganz sicher«, pflegte sie zu sagen.
Faye antwortete dann nur: »Ganz sicher.« Bis dahin vergnügte sich Dana mit anderen Männern, die alle irgendwie mein George waren. Für Dana Carter war das ganz große Literatur, der Roman ihres Lebens würde The Importance of being George heißen.
»Also, jetzt sag schon!«
Sie entschied sich für die kurze Version: »Wir haben uns verpasst.«
»Hm, so ein Jammer.«
Das immerhin sah Faye genauso.
»Es tut mir so leid für dich«, hörte sie Dana sagen, »aber ich muss jetzt los.« Sie erwähnte die wichtige Präsentation eines neuen Produktes, deren Termin sich verschoben hatte. »Sie wollen, dass es schon zu Weihnachten in den Läden ist, und wenn wir Glück haben, dann machen wir die ganze Kampagne.«
»Ich komm schon klar.«
»Ruf ihn an.«
»Ich habe keine Nummer.«
»Dann schreib ihm noch eine Mail. Chattet. Bleib in Kontakt.« Faye konnte hören, wie sie aufmunternd lächelte. »Ich glaube an dich, und du wirst es schaffen.« Sie klang in Eile, vermutlich war sie gerade online und machte tausend Dinge gleichzeitig. »Schnapp dir diesen George.«
Alex, dachte Faye und sagte: »Bis bald.«
»Ich bin in Gedanken bei dir«, sagte Dana, und dann war das Gespräch vorbei.
Faye seufzte.
Was tun?
Sie beschloss, ganz einfach nur nach Hause zu gehen. Das wäre das Allerbeste im Moment.
Also verabschiedete sie sich von Mica und machte sich auf den Weg.
Die Sonne stand jetzt tief, und die Welt sah rotgolden aus, lange Schatten skizzierten den Herbst auf die Straße und die Gehwege, auf denen erste Blätter lagen. Faye mochte das Gesicht, das die Stadt machte, wenn es ihr so richtig gut ging, jene Mischung aus Stimmen und Geräuschen, die wie Farben ein Bild malten, durch das man unauffällig hindurchschleichen konnte, verborgen vor den Blicken der anderen und dennoch alles in sich aufsaugend. Bunte, leise Augenblicke wie diese ließen Lieder und Songtexte das Licht der Welt erblicken;
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