Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
eine knallrote breite Couch mit weißen Punkten und ein altes Klavier, Rücken an Rücken, könnte man sagen. Wenn man auf der roten Couch lag, dann konnte man aus dem Fenster schauen und sich im Geäst des Baumes verlieren, der da draußen stand. Auch konnte man bequem eine Tasse Tee oder ein Glas Wein auf dem Klavier abstellen.
Irgendwie passend, dachte Faye. Die Dinge, die ihr Leben bestimmten, waren gleichsam der Mittelpunkt der Wohnung geworden. Auf der Couch saß sie gern und lange, einfach so, oft untätig, schläfrig, tagträumend. Man konnte auf ihr wunderbar gar nichts tun, Bücher lesen, Songtexte schreiben, sich Melodien ausdenken oder einfach nur die Augen schließen und der Stille lauschen. Und wenn man sich die Melodien, die immer irgendwo in der Stille verborgen waren, dann vergegenwärtigt hatte, musste man nichts anderes tun, als aufstehen, um das Klavier herumgehen, sich auf den Schemel setzen und zu spielen beginnen.
Es gab einen hölzernen Buddha, der fett und mit einem penetrant ruhigen und ausgeglichenen Gesichtsausdruck neben dem Fenster saß und dem Faye ein Post-it mit der Aufschrift Ich bin Om – und was bist du? an die Stirn geklebt hatte. Ein Zimmer weiter befanden sich ein alter Kleiderschrank und eine Matratze mit einer chinesischen Stehlampe daneben. Auf dem Boden neben der Matratze lagen Zeitschriften – Rolling Stone , Vogue , Yoga for U – und Bücher von Elizabeth Gilbert, Carrie Fisher, Grady Tripp und Margaret Atwood. In einem alten Reisekoffer, der aufgeklappt war, stand das uralte pechschwarze Telefon mit der geringelten Schnur.
»Das Ding ist grässlich«, pflegte Dana zu sagen. »So was von hässlich.«
»Es ist alt.«
»Das ist nicht mal vintage.«
»Du musst es ja nicht anfassen«, antwortete Faye dann.
Dana mochte es, sie mit ihrem Hang zu wirklich alten Dingen aufzuziehen. Dana mochte neue Sachen. Moderne Smartphones, Möbel mit schönem Design, sogar in der Küche legte sie Wert auf exklusives Design. Faye war da anders.
»Genau wie dein alter Drahtesel«, war das Nächste, was Dana öfter bemängelte.
»Ich mag dieses Rad«, war Fayes Meinung dazu.
»Es sieht einfach nicht sicher aus.«
»Es ist meins. Ich liebe es.«
»Nach dem ersten Unfall wirst du anders darüber denken.«
»Bisher ist alles gut gegangen.«
»Ich bin deine Freundin, ich bin nur besorgt.«
»Wofür ich dir unendlich dankbar bin.«
Ihr Fahrrad hatte Rostflecken, war schon uralt, fuhr aber noch einwandfrei und war so wunderbar nicht perfekt. Es stand neben der Eingangstür, und Faye musste es fast jeden Tag ein Stockwerk nach unten tragen. Außerdem hatte sie es eigenhändig lackiert: wie die Couch war auch das Fahrrad nun knallrot, wenn auch in einem etwas anderen Knallrot gestrichen und überall weiß gesprenkelt.
»Du und deine Punkte«, hatte Fayes Vater immer gesagt.
Und ihre Mutter hatte bemerkt: »Du bist seltsam.«
Faye indes hatte schon als Kind geahnt: »Punkte machen das Leben schöner.«
Im Gegensatz zu ihrer alten Familie in Minnesota hatte Dana schnell erkannt: »Die Punkte, das bist du.«
»Ja«, hatte Faye erwidert, »alle auf einmal.«
Sie lächelte still.
Es half alles nichts. »Los geht’s!«
Faye zwinkerte der gepunkteten Couch zu und machte sich fertig für den Tag. Bevor sie die Wohnung verließ, betrachtete sie sich in dem großen Spiegel, der neben der Tür an die Wand gelehnt stand. Sie war nicht so hübsch, dass die Männer sich auf der Straße reihenweise nach ihr umdrehten, aber auch nicht so unscheinbar, dass sie gar keinen Eindruck hinterließ. Sie war irgendwie irgendwer irgendwo dazwischen. Wie eine leise Melodie, die man nur im Vorbeigehen hört, fast unbewusst, und deren unbeschwerter Klang einem nicht mehr aus dem Kopf geht.
»Ein neuer Tag«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und lächelte. Das war ihr kleines Ritual.
»Zeige jedem neuen Tag ein neues Lächeln!« Das hatte ihr Arbeitgeber ihr geraten.
Fernöstliche Weisheiten, ha!
»Es funktioniert wirklich«, sagte sie zu dem Spiegelbild und lächelte, und das Spiegelbild lächelte sonnig zurück.
Dann nahm sie die Umhängetasche, suchte kurz, wie eigentlich immer, den Schlüsselbund – diesmal fand sie ihn in einem der Grünpflanzentöpfe und hatte wirklich nicht den leisesten Schimmer, wie er dorthin gekommen war –, prüfte sich ein letztes Mal im Spiegel, suchte noch den Geldbeutel – der lag auf dem Waschbecken im Bad, warum auch immer –, schaute erneut in den Spiegel, zum
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