Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
gleich Tibet besuchen sollten, um die Gebetsmühle zu verhökern, aber Kalle bezweifelte, dass es im Rahmen dieser Reise klappen würde – keiner von ihnen hatte ein Visum für China, und sie hatten auch keinen Kontakt zur örtlichen Bevölkerung, um sich eine Einladung beschaffen zu können. Sie müssten sich also damit begnügen, Exil-Tibeter zu treffen, die seinerzeit vor der chinesischen Besatzung geflohen waren und schon seit Jahrzehnten im Norden Indiens im politischen Asyl lebten.
Die Crew der Linienmaschine der Air France nach Neu Delhi bestand, mit Ausnahme des Flugkapitäns, aus Indern. Lauri und Kalle ließen sich lässig in den Sesseln der ersten Klasse nieder und vertrieben sich die Zeit damit, den Stewardessen und Stewards ihre Gebetsmühle vorzuführen. Der Apparat stieß bei den indischen Crewmitgliedern auf ehrliches Interesse, sie äußerten den Wunsch, hineinsehen zu dürfen. Kalle schraubte die Bodenplatte ab und zeigte ihnen das Innenleben des Geräts.
Die Gebetsmühle war ein Holzkasten von der Größe einer alten Kaffeemühle. Drinnen befand sich ein Akku, aus dem mehrere elektronische Geräte mit Strom gespeist wurden. Ein kleines Handy spielte auf Knopfdruck eine Erkennungsmelodie und zählte dann sämtliche eingegangenen Nachrichten auf. Ferner befand sich in der Mühle ein winziges Aufnahmegerät, das, wenn es in Gang gesetzt wurde, Hindu-Musik spielte, es enthielt außerdem ein Sprachprogramm, das zum Beispiel auf Hindi von der dortigen Religion berichtete. Ferner gehörten direkte Gebete zum Angebot. So erschallte zum Beispiel das altlaestadianische Glaubensbekenntnis in mehreren nordischen Sprachen: auf Finnisch, Schwedisch, Norwegisch und Samisch.
Kalle schraubte die Bodenplatte wieder fest und überließ das Gerät für den Rest des Fluges einem indischen Steward, wobei er ihn davor warnte, den eigensinnigen Apparat zu beschädigen, da dies zu unerwarteten Reaktionen führen konnte.
Als Passagiere der ersten Klasse konnten Lauri und Kalle nach Belieben kostenlose Speisen und Getränke bestellen. So machte das Reisen Spaß, zumal ihnen immer wieder kalter Sekt gereicht wurde.
Von Paris nach Neu Delhi sind es Tausende von Kilometern. Der Flug dauerte mehr als neun Stunden, denn es gab einen Zwischenstopp in Athen, wo die Maschine aufgetankt wurde. Zwar war die Reise lang, doch mit dem guten Essen und den ausgezeichneten Getränken war sie bestens zu ertragen. Die Crew übte sich mit glühenden Wangen im Gebrauch der Gebetsmühle. Der Steward wollte unbedingt mit dem Aufnahmegerät seinen eigenen Gottesdienst auf Hindi aufnehmen. Als er die Erlaubnis bekommen hatte, zog er sich in eine Ecke zurück, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Aufnahme dauerte zwei Stunden, aber das Ergebnis klang äußerst fromm. Lauri und Kalle lernten die Höhepunkte der Andacht auswendig und kamen zu dem Ergebnis, dass sie sich durchaus vorstellen konnten, fromme Hindus zu werden. Lauri fand, dass der christliche Glaube offiziell gegen den Hinduismus eingetauscht werden könnte. Im kalten Wasser zu stehen fiele einem Hindu möglicherweise leichter als einem Lutheraner, dem nur selten göttliche Gnade zuteilwird.
Am Abend landeten sie auf dem internationalen Flughafen von Neu Delhi. Es wehte ein sanfter heißer Wind, und bald klebten ihnen die Kleider am Leibe, denn es waren die heißesten Tage des Sommers. Lauri glaubte, die Abendhitze leicht ertragen, sie sogar genießen zu können. In der Ankunftshalle bekamen sie rasch ihre Koffer, und mit dem Gepäck gingen sie ins Restaurant, um ein paar Sandwiches zu essen und helles Bier zu trinken. Kalle erklärte, dass es sich um echtes Lager handelte, ein Relikt aus der Kolonialzeit.
Die beiden bekamen ihre Gebetsmühle zurück. Sie bedankten sich beim Steward für die neue Aufnahme. Jetzt würde ihnen die Vermarktung des Gerätes noch leichter fallen als vorher, so glaubten sie. Jedenfalls könnten die Hindus die Dienste der Mühle nicht mit der Behauptung ablehnen, dass ihnen falschgläubige Lutheraner etwas aufschwatzen wollten.
Auf dem Flugplatz war eine prachtvolle Militärparade im Gange. Uniformierte junge Burschen marschierten mit vorgehaltenen Sturmgewehren im Takt von dumpfen Trommelklängen. Männer in weißen Gewändern rollten einen breiten roten Teppich aus. Lauri und Kalle versuchten, sich unauffällig zurückzuziehen, aber man führte sie zielstrebig auf den roten Teppich. Mit Schweiß auf der Stirn und umgeben von vielen indischen
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