Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
einige Stunden Klettertouren in die Umgebung von Lhasa. Die Landschaft war schier atemberaubend, es ließen sich aber keineswegs alle Hänge besteigen, nicht mal mit voller Ausrüstung. Lauri und Kalle mussten sich damit begnügen, die Pässe entlangzukraxeln, und selbst das war für die Finnen schon schwierig genug. Der tibetische Führer war ein zäher Alter, der mühelos den Proviant und die großen Seilbündel auf den Schultern trug. Er beherrschte auch sämtliche Fertigkeiten, die im Gebirge nötig waren, entzündete in Windeseile ein Lagerfeuer, kochte schmackhafte Lammfleischsuppe, wusste die Namen der höchsten Gipfel in der schroffen Landschaft und wie viele Menschen dort in den Tod gestürzt waren. Er kannte unendlich viele alte tibetische Volkssagen und Sprüche, deren Übersetzung ins Englische ihm allerdings Schwierigkeiten bereitete. Außerdem machte er Zauberkunststücke und sang Hirtenlieder. Die hinduistische Botschaft der Gebetsmühle nahm er zunächst mit einigem Staunen zur Kenntnis, lauschte ihr dann aber andächtig.
Die Gebirgstouren klappten zwar gut, aber mit dem übrigen Programm haperte es. Ky, der Vizechef des Tourismusbüros, meldete sich nicht mehr bei den Finnen, auch die anderen Chinesen schienen nicht an ihrer Gesellschaft interessiert. Lauri und Kalle versuchten ihrerseits, mit den Tibetern in Kontakt zu kommen, um ihnen die Gebetsmühle vorzustellen. Sie besuchten mehrere Schulen, aber wenn die tibetischen Lehrer erfuhren, worum es ging, untersagten sie entschieden lächelnd das Hausieren mit Gebetsapparaten.
Wenn Lauri und Kalle in der Stadt unterwegs waren, hatten sie oft das Gefühl, dass sie verfolgt und beobachtet wurden. Hatte vielleicht Vizedirektor Ky ihre Überwachung angeordnet? Verdächtigte man sie der Spionage? Darauf könnte in China unter Umständen die Todesstrafe stehen, vermutete Kalle. Eine entsprechende Meldung hatte er unlängst in einer Zeitung gelesen. Der Gedanke an die Hinrichtung auf Beschluss eines chinesischen Militärgerichts ließ Lauri schaudern. Er überlegte, ob sie ihre ganze Erkundungsreise vermasselt hatten. Was war schiefgelaufen? Wäre es besser gewesen, sich beim Lunch mit Ky die Kritik an Chinas Methoden zu verkneifen? Jetzt waren ihre Beziehungen mit ihm definitiv gestört, ja kaputt. Während ihrer restlichen Zeit in Lhasa mussten sie vorsichtig agieren, um die Gastgeber nicht noch mehr zu reizen.
Am dritten Tag kehrten Lauri und Kalle in ihr Kloster zurück, um sich aufs Ohr zu legen. Das war allerdings kaum möglich, denn in den Zellen waren zwei Schweißer am Werke. Was ging da vor? In der Öffnung zu Kalles Klause entstand eine zweiteilige Tür mit Stahlgitter, und als der chinesische Handwerker schließlich ein schweres Schloss angebracht hatte, konnte sie in Betrieb genommen werden. Beide Finnen wurden in Kalles Klause geschoben, die Tür wurde zugeschlagen und verriegelt. Sie waren Gefangene in einem Kloster, in dem es keine Mönche, sondern Soldaten gab und aus dem ein Gefängnis geworden war.
Die Gittertür zu Lauris Zelle war ebenfalls rasch festgeschweißt, man holte ihn aus Kalles Zelle und schob ihn in seine eigene. Hinter ihm wurde abgeschlossen, beide Männer hatten ihre Freiheit eingebüßt. Zwar konnten sie noch miteinander kommunizieren, aber der Gang zur Toilette war nicht mehr möglich. Dafür musste jetzt ein Zinkeimer herhalten, der in der Ecke stand. In der anderen Ecke stand eine Kanne mit Wasser, mehr Annehmlichkeiten gab es nicht.
Obwohl beide Männer den ganzen Tag in der Stadt herumgelaufen waren und versucht hatten, die Gebetsmühle an den Mann zu bringen, wollte sich der Schlaf nicht einstellen. Die Zellen waren stockdunkel, doch die Gittertüren waren zu ahnen, sie waren wie eine Mauer, die als unüberwindliches Hindernis den Weg nach draußen versperrte.
Kalle sagte, dass er plötzlich mit Sehnsucht an seine Ehefrau, überhaupt an Frauen denke.
»Geht mir auch so«, gestand Lauri. Er sah im Geiste Irma vor sich, nackt und sauber vom Saunabad. Sie lag auf dem Bett, das Haar auf dem Kopfkissen ausgebreitet, sie duftete frisch und lächelte einladend.
Kalle dachte an seine Frau Anita.
»Sie hat so herrliches, langes Haar, es reicht ihr bis auf die Schultern. Das Waschen und Kämmen macht bestimmt Mühe. Aber man kann so schön das Gesicht darin verstecken, ganz wie als Kind, wenn man sich in den Sträuchern verkroch.«
Nach den sehnsüchtigen Gedanken an die Ehefrau blieb den beiden noch der Versuch, zu
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