Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
Hungrig schlürften sie ihr Mahl und legten sich dann schlafen. Kalle meinte schließlich, jetzt sei es wirklich so weit, dass sie eine neue, starke Religion bräuchten, die ihnen aus der Patsche helfen würde. Auch Lauri fand, dass sie arg in der Klemme saßen und dass die Zukunft nichts Gutes versprach. Der Gedanke an einen Gerichtsprozess in China ließ ihn erschauern.
Nachts erwachte Lauri von undeutlichem Gemurmel, das aus der Nachbarzelle drang und gut eine Viertelstunde andauerte. Er kam zu dem Schluss, dass Kalle einen seltsamen Traum hatte, der ihn veranlasste zu sprechen. Als er angestrengt lauschte, verstand er so viel, dass sein Freund über große metaphysische Fragen sprach. War das Erfindergenie womöglich dabei, im Traum eine neue Weltreligion zu entwickeln? Alles deutete darauf hin, aber schließlich gewann männliches Schnarchen die Oberhand, und der Rest der Nacht verging ohne weitere Ausführungen zum Thema von Kalles Seite.
Am Morgen erschien ein Uniformierter, um die Kübel zu leeren, danach brachte er ein chinesisches Häftlingsfrühstück. Lauri und Kalle bekamen je eine Schale mit Tee und zwei Brotkanten, dazu auf einem kleinen Teller ein wenig dampfenden Reis. Auch diese karge Mahlzeit ließen sich die beiden schmecken. Schade nur, dass es keine Waschmöglichkeit gab, keine dampfende Dusche und keine Gelegenheit zu einem gesunden Morgenspaziergang. Sie mussten sich damit begnügen, eine Ecke des Handtuchs in der Trinkwasserkanne zu befeuchten und sich damit Gesicht und Achseln abzuwischen.
Nach dem bescheidenen Morgenritual erzählte Kalle, dass er nachts wach gelegen und über Religionsfragen nachgedacht habe. Er habe schließlich auch eine grandiose Eingebung gehabt, die er für weit erhabener und zumindest in vielerlei Hinsicht interessanter halte als jeden anderen der gegenwärtig bestehenden religiösen Ansätze. Lauri interessierte sich natürlich für dieses Wunder und bat ihn ungeduldig, die wesentlichen Gedankengänge und wenn möglich auch einige Details seiner nächtlichen Eingebung darzulegen.
Sie mussten davon ausgehen, dass in den Zellen Mikrofone versteckt waren, um die Gespräche der Gefangenen abzuhören und den Inhalt gegen sie zu verwenden. So schlug Kalle also vor, die Unterhaltung im Dialekt von Rauma fortzusetzen, den sie seinerzeit in der Armee auf Befehl ihres Spießes hatten pauken müssen. Das Ganze war allerdings schon zwanzig Jahre her, aber als sie einen Versuch starteten, fanden sie überraschend gut wieder in den Wortschatz hinein.
»Wir sprechen es vermutlich nicht ganz korrekt, aber der Chinese versteht es sicher nicht, und Teppo auch nicht«, meinte Kalle.
»Stimmt, das kann nicht mal der Teufel«, bestätigte Lauri.
Sie wandten sich wieder den religiösen Fragen zu, jetzt im Dialekt von Rauma. Kalle kauderwelschte:
»Wenn ich den Grundgedanken weiterentwickle und reifen lasse, können wir uns gemeinsam auf die Details einigen. Zeit haben wir ja genug, wahrscheinlich schmoren wir noch ein ganzes Jahr in diesem Loch, oder sogar zwei, ehe wir vor ein chinesisches Gericht gestellt und anschließend erschossen werden.«
Kalles Idee war letztlich ziemlich einfach. Die neue Ideologie oder Religion, wie auch immer, beruhte auf dem Grundgedanken, dass jeder Mensch ab und zu, mancher auch häufiger, gute Taten beging. Diese Taten wären die Basis der neuen Religion. Sämtliche guten Taten der Menschen würden notiert und in einem eigens zu gründenden Zentralregister gespeichert, im Computerzeitalter sollte das kein allzu großes Problem sein
Lauri wollte wissen, wer die guten Taten der Menschen auflisten und ins Zentralregister schreiben würde, Gott oder von Kalle erfundene Engel? Wer sonst sollte das schließlich übernehmen?
Kalle erklärte geduldig, dass er die Auflistung der guten Taten nicht Gott oder den Engeln überlassen würde, das sollte jeweils ein nahestehender Glaubensbruder oder eine Glaubensschwester übernehmen. Es würde sich also um eine Art Vertrauensbeziehung handeln. Ein zuverlässiger Freund würde die Taten des Gläubigen, speziell die guten, notieren und dafür sorgen, dass sie in regelmäßigen Abständen, beispielsweise jedes halbe Jahr, ins Zentralregister eingetragen würden. So einfach!
»Und die bösen Taten?«, fragte Lauri. Die wären, eingedenk der menschlichen Natur, sicher zahlreicher als die guten, aber wer würde schon seine Sünden einem Glaubensbruder anvertrauen wollen.
Kalle sagte, dass er in der Nacht einen
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