Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
Umgebung erkunden. Könnten sie eventuell für ein paar Tage einen örtlichen Führer und Träger bekommen, der dafür sorgen würde, dass sie als unerfahrene Europäer an den steilen Hängen und in den Schluchten nicht zu Schaden kämen? Ky willigte sofort und breit lächelnd in beide Vorschläge ein und ergänzte von sich aus, dass er außerdem persönlich ein Programm für sie organisieren wolle, das die »Freunde« ihr Leben lang nicht vergessen würden. In derart schöner Eintracht beendeten sie die Mahlzeit, und Kalle und Lauri unternahmen einen Spaziergang durch die engen und verwinkelten Gassen der Hauptstadt.
Lhasa war eine kleine, alte Stadt und ehrwürdig wie eine betagte adelige Dame, sie war anmutig, geheimnisvoll, hoheitsvoll und verlockend. Durch die Straßen zogen viele Pilger, obwohl es Sommer und nicht die Zeit religiöser Feste war. Die frommen Pilger waren zu Fuß unterwegs. Viele hatten aus ihrer weit entfernten Heimat mehrere Monate bis hierher gebraucht, einer sogar drei Jahre. Das war auch nicht weiter verwunderlich, da er nur sehr langsam vorankam, denn er machte jeweils nur ein paar Schritte und warf sich dann auf die Knie, um zu beten. Manche legten sich ausgestreckt hin und drückten die Stirn auf den Boden. Die Allerfrömmsten hatten bereits eine blutige Beule an jener Stelle, mit der sie unentwegt den Boden berührten. Der oben erwähnte Mann erhob sich soeben wieder von seinem Gebet, tat drei Schritte und warf sich erneut auf die Knie. Verständlich, dass bei diesem Tempo der Pilgerweg Monate oder sogar Jahre dauerte.
Kalle konnte es nicht lassen, seine Gebetsmühle einzuschalten. Wozu besaß er schließlich einen solchen Apparat, und noch dazu einen von dieser Qualität. Die Gebetsmühlen, die die Pilger mit sich trugen, waren runde, verschnörkelte Monstren, die von Hand gedreht wurden. Ein bisschen so wie Holzratschen.
Die Gebetsmühle posaunte für Pilger und Stadtbewohner sofort ihre speziellen Andachtsprogramme und Schweinereien heraus, sodass es in den Straßen und Gassen widerhallte. Kalle versuchte, den Redefluss des Apparates zu dämpfen, der aber gehorchte seinem Herrn nicht, sondern verkündete weiter seine schlüpfrigen Botschaften in voller Lautstärke, was zur Folge hatte, dass zahlreiche Pilger und Einheimische über Kalle und Lauri herfielen und die Besitzer des frivolen Apparates verprügelten.
Die beiden Freunde konnten mit Mühe und Not den Fäusten der erzürnten Gläubigen entrinnen und sich in das Teehaus retten, in dem sie vorhin gesessen hatten. Ky war noch vor Ort und bezahlte gerade die Rechnung. Kalle schraubte die Bodenplatte der Gebetsmühle ab und brachte das Gerät endlich zum Schweigen. Es war an der Zeit, Ky die finnische Erfindung vorzustellen.
Der Vizedirektor des Tourismusbüros von Lhasa konnte sich nicht im Mindesten für Kalles und Lauris Mühle erwärmen. Zwar hörte er sich brav lächelnd eine Hindu-Andacht an, aber der finstere Ausdruck in seinen Augen ließ keinen Zweifel aufkommen: Im heutigen China würde dieser obskure geistliche Apparat keinen Erfolg haben. Ky verkündete freundlich, dass sein Büro die Missionstätigkeit der Finnen nicht unterstützen werde, mehr noch, er bat sie, die Gebetsmühle auf chinesischem Territorium künftig nicht mehr einzuschalten. Dergleichen widerspreche den bewährten Prinzipien der Großmacht. Die Besuche in den Klöstern gingen ja noch an, aber es müsse auch eine Grenze geben. Bereits zu Zeiten des alten und hoch verehrten Mao habe man mit blutigen Köpfen für die Ausmerzung aller westlichen religiösen Saat gekämpft, und in der neuen Ära bestehe kein Grund, zu imperialistischen Gepflogenheiten zurückzukehren.
Als Quartier wies der selbstbewusste Tourismuschef den beiden Finnen spartanische ehemalige Klausen in Lhasas größtem Mönchskloster zu. Die zwei bis drei Quadratmeter großen Räume waren mit Matratzen, Kissen, Decken und sauberer Bettwäsche ausgestattet, Licht erhielten sie durch eine kleine Fensterluke, die man zur Nacht schließen konnte. Etwa zwanzig solcher Klausen waren in den Felsen gehauen worden, ebenso wie ein großer Saal, vermutlich der Versammlungsort des Klosters und eine Art Kirche, aber religiöse Gegenstände waren nicht zu sehen. Karg und unwirtlich wirkte das Gebäude, und weit und breit gab es keine Spur von Mönchen, aber auf den Gängen und vor den Türen standen Soldaten in Uniform, die leichte Maschinenpistolen über der Schulter trugen.
Neben den Betten
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