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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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Jahrhundert.
    Sie haben eins gemeinsam: Ihnen fehlt der Einband. Die Einbände liegen auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Ich muss unwillkürlich an Tiere denken, denen man die Haut abgezogen hat.
    Alessia lächelt.
    »Wenn man hungrig genug ist, wird alles zu Nahrung. Einige Einbände, die aus Leder, sind gekocht worden. Für Brühe. Dann kam jemand auf die Idee – oder vielleicht hat es der Betreffende irgendwo gelesen –, dass man den Leim kochen kann, wodurch man einen essbaren Brei bekommt. Und so haben sie den Leim aus den Büchern gekratzt und daraus einen Saft hergestellt, aus dem man Bonbons machen kann.«
    Ich schüttele den Kopf. »Ein Freund von mir, ein Russe, hat mir erzählt, dass die Bewohner von Leningrad während der deutschen Belagerung ebenso vorgingen. Seine Eltern haben auf diese Weise überlebt.«
    Meine Finger streichen über den Rücken eines Buches, und ich lese den Titel: De Phaenomenis in Orbe Lunae, 1612. Wer weiß, wo sich der Text befindet. Vielleicht in dem Haufen dort drüben.
    »Die Bücher an den Wänden dienten der Isolierung«, erklärt Alessia.
    »Es gibt einen besseren Verwendungszweck für Bücher«, erwidere ich.
    »Mag sein. Aber hilft er auch beim Überleben?«
    Ich blicke aus dem Fenster. Wo einst das Wasser des Canal Grande im Sonnenschein glänzte, erstreckt sich jetzt ein trockenes Tal.
    Ich streiche mir mit der Hand über die Wange und fühle nur Bartstoppeln, aber keine Narben oder Pusteln, wie es für jemanden normal wäre, der so viel Zeit im Draußen verbracht hat. Eigentlich sollte ich nicht einmal imstande sein, den Arm zu heben. Ich müsste längst tot sein.
    »Wie schützt ihr euch vor der Strahlung?«, frage ich Alessia und bewundere ihre perfekte Haut.
    »Wie man sich vor der Kälte oder dem Hunger schützt. Unser Patriarch kümmert sich um alles. Du wirst sehen.«
    Der Kanal ist fast frei von Schnee, und es liegt auch nur wenig auf den Dächern. Tief unten in der Schlucht des Canal Grande ragen gelegentlich Buckel aus dem Boden.
    »Was ist das?«, frage ich und deute darauf.
    »Das sind Wracks. Nicht von großen Schiffen, sondern von Booten und kleinen Kähnen, die nach dem Zurückweichen des Meeres auf dem Trockenen lagen und verfielen. Sie enthalten keine Schätze. Die haben wir woanders gefunden. Beim Arsenal zum Beispiel. Oder weiter draußen. Jenseits der Bocca del Lido kann man wundervolle Dinge finden …«
    Ich unterbreche Alessia. »Wie viele seid ihr?«
    Sie runzelt die Stirn.
    Ich bekomme keine Antwort von ihr.
    »Es ist keine schwere Frage«, sage ich.
    Alessia wendet sich dem Fenster zu. Das Tageslicht erhellt ihr Gesicht und verändert sie.
    Erneut muss ich an die Vorstellung vom glorifizierten Körper denken, den wir nach der Auferstehung bekommen sollen, dem physischen Körper ähnlich, aber anders. Ein Körper, der essen und schlafen kann, aber nie erkrankt und nicht sterben wird. Ein Körper, der sich frei zwischen Himmel und Erde bewegt und in nur einem Moment jeden beliebigen Ort erreicht. Wie Jesus nach seiner Rückkehr vom Tod. Ein Körper wie der eines gewöhnlichen Menschen, ihm aber weit überlegen.
    Meine Hand tastet nach Alessias Schulter, und für einen Augenblick spielt mir das Licht einen Streich. Sie scheint durchsichtig zu werden, und wenn ich die Hand noch etwas weiter ausstrecke … Ich habe das Gefühl, dass sie dann nicht die Schulter berühren, sondern hindurchgleiten würde.
    Dann dreht Alessia den Kopf, und wieder schlagen mich ihre Augen in den Bann.
    »Kannst du dich noch ein wenig gedulden? Ich bitte dich darum. Du wirst alles verstehen, wenn du dem Patriarchen begegnest. Jetzt solltest du dich ausruhen. Es ist wichtig, dass es dir gut geht, wenn du ihm begegnest. Schlaf ein wenig.«
    »Wie soll ich an einem solchen Ort Ruhe finden? Kann man von einem Kind erwarten, sich vor einem Besuch von Disneyworld hinzulegen und zu schlafen?«
    »Ich verstehe.«
    »Ach? Und du fragst mich nicht, was Disneyworld ist?«
    Alessia wendet den Blick von mir ab und sieht wieder nach draußen, durch eine Scheibe, die so sauber ist, dass sie aus Luft und Licht zu bestehen scheint. Ihr Glas reflektiert nichts, und vielleicht erinnert es sich auch an nichts.
    »Ich weiß, was Disneyworld ist. Was es war .«
    »Aber du kannst nicht älter als zwanzig sein. Woher weißt du von Disneyworld?«
    Alessia lächelt und formuliert einige Worte in einer Sprache, die ich nicht kenne.
    Dann sieht sie mir direkt in die Augen.
    »Du hast

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