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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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fertig.«
    Ich stehe auf. Normalerweise müssten die Gelenke knirschen, aber diesmal nicht. Ich fühle mich unglaublich gut, obwohl ich vor dem Einschlafen nichts gegessen habe – ich kann mich nicht einmal an die letzte Mahlzeit erinnern. Es geht mir nicht gut, es geht mir ausgezeichnet; ich bin in Form.
    Trotzdem frage ich mich, was ein Geigerzähler anzeigen würde. Die großen Fenster sind gewiss kein Hindernis für die Strahlung, weder für das Licht der Sonne noch für Radioaktivität. Sie sollten mich nicht einmal vor der Kälte schützen, und doch …
    Die Temperatur im Zimmer ist so hoch, dass mein Atem nicht kondensiert, als ich zu dem jungen Mann sage: »Gib mir zehn Minuten, um mich vorzubereiten.«
    Ich habe die Toilette am Ende der Treppe gefunden. Sie ist klein, und es gibt nur wenig Licht. Ich könnte ohnehin nichts damit anfangen, denn auch hier ist der Spiegel zerbrochen. Gab es einmal einen ketzerischen Glauben, der Spiegel für etwas Böses hielt? Oder ist das eine falsche Erinnerung, die vielleicht auf eine Erzählung von Borges zurückgeht?
    Wie dem auch sei, ich bin beim Rasieren auf den Tastsinn angewiesen und hoffe, dass ich mir nicht das Gesicht zerschneide.
    Mit dem winzigen Stück Seife, das ich neben meinem »Bett« gefunden habe, wasche ich mich, so gut es geht. Beim Abtrocknen wird das saubere Handtuch sofort grau.
    In mein Zimmer zurückgekehrt, finde ich einen Kleidungsstapel neben dem Schlafsack. Zwei glänzende schwarze Schuhe stehen vor einem eleganten Smoking und einem weißen Hemd. Dahinter, ebenfalls fein säuberlich zusammengefaltet, liegt ein schwarzer Mantel mit pelzbesetztem Kragen. Darauf ruht eine Maske mit Schnabel, wie die, die ich am Morgen getragen habe.
    Ein Dreispitz fehlt.
    Ebenso ein Umhang.
    Bei diesen Schuhen besteht die Sohle nicht aus dem Gummi eines alten Autoreifens.
    Gala-Kleidung.
    Von Alberto ist weit und breit nichts zu sehen.
    Ich gehe zum Fenster.
    Leute gehen durch den Kanal, halb in den Schatten verborgen. Ich bemerke sie im Schein von Lichtern – Laternen oder Kerzen –, die wie von allein in halber Höhe über den Boden schweben.
    Dutzende von Personen, vielleicht Hunderte.
    Ich frage mich, was es mit dem wortlosen Marsch bei Einbruch der Nacht auf sich hat. Stille herrscht, bis in der Ferne ein Horn erklingt.
    Es ist ein seltsamer, schauriger Ton, der von den Wänden des Tals widerhallt, zu dem der Canal Grande geworden ist.
    Die Wanderer reagieren, indem sie schneller gehen. Auch aus den Seitenkanälen kommen Leute, und aus den Palazzi zu beiden Seiten. Treppen und Strickleitern bringen sie in den großen Kanal, durch den immer mehr Lichter schweben.
    Es sieht fantastisch aus.
    Der junge Mann mit der Maske erscheint plötzlich hinter mir und räuspert sich.
    »Wir müssen gehen.«
    »In Ordnung«, erwidere ich gedankenverloren.
    »Sie müssen sich umziehen.«
    »Gewiss.«
    Alberto tritt respektvoll zurück.
    Durch das Fenster dringt Musik an meine Ohren.
    So unglaublich es auch sein mag: Es scheint ein Lied von Conor Oberst zu sein: Milk Thistle . Ein Lied, das nie alt werden wird, denn es gibt keine neuen. Die alten CDs, die ewig halten sollten, zersetzen sich, und die Stimmen und Töne, die auf ihnen gespeichert sind, werden zu Geistern, zu digitalen Fragmenten, mit denen kein Player etwas anfangen kann.
    Ich singe leise mit, während ich mich anziehe.
    Lazarus, Lazarus
    Why all the tears?
    Did your faithful chauffeur
    Just disappear …?
    Es fühlt sich sonderbar an, frische, saubere Kleidung zu tragen.
    Erstaunlicherweise passen die Sachen wie angegossen.
    »Wie elegant du bist.«
    Ich drehe mich um.
    Alessia sieht hinreißend aus.
    Sie trägt ein Abendkleid von der Art, wie es früher Stars bei einer Uraufführung oder bei der Oscar-Verleihung trugen.
    Mit einem kecken Lächeln dreht sie sich ein bisschen nach links und rechts.
    »Gefällt dir das Kleid? Audrey Hepburn soll es getragen haben. Weißt du, wer das ist?«
    »Ja.«
    »Ich nicht. Aber es ist ein sehr altes Kleid.«
    In dem roten Gewand wirkt ihr Gesicht noch blasser, und es macht ihre Augen noch dunkler. Die Schultern bedeckt ein schwarzer Umhang, der für die Venezianer ein Muss zu sein scheint. Er besteht aus einem sehr leichten Stoff; vor Kälte und Fallout schützt er bestimmt nicht.
    »Wie bekomme ich einen Mantel?«, frage ich.
    Alessia neigt den Kopf wie ein Vogel und zuckt mit den Schultern. »Wenn du lieber einen Umhang möchtest, hole ich dir einen.«
    »Nein, mit dem

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