Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Vatikanischen Museen. Es war fast niemand da. Welch himmlische Ruhe. Bei jedem meiner Aufenthalte in Rom habe ich versucht, Zeit für die Museen zu erübrigen, aber ich konnte die Menschenmassen nicht ertragen, die sich laut durch die Säle wälzten. All die Stimmen, das Gedränge, das Klicken und Summen der Fotoapparate.
Doch an jenem Tag waren die Vatikanischen Museen fast leer. Ganz allein stand ich da und wartete darauf, dass die Kartenausgabe öffnete. Die Angestellten hatten keine Anweisungen erhalten, und deshalb erschienen sie an jenem Tag wie immer zur Arbeit. Als sei es ein ganz normaler Tag, wie jeder andere. Ich bezahlte meine Eintrittskarte. Früher einmal hätte ich sie an einer der Online-Börsen verkaufen können, bei eBay: die letzte Eintrittskarte für die Vatikanischen Museen.
Es war sehr angenehm und gleichzeitig unheimlich, allein durch die Flure zu gehen, umgeben von der Schönheit vergangener Jahrtausende, einer Schönheit, die ich für mich ganz allein hatte. Ich erinnere mich daran, dass ich meine Frau in Genf anrufen wollte, um ihr von meinem seltsamen Erlebnis zu erzählen. Aber ich kam nicht zu ihr durch, weil zu viele Leute versuchten, mit anderen Leuten Kontakt aufzunehmen; die Netze waren völlig überlastet.
Nach einigen Versuchen gab ich es auf. Wenn ich hartnäckiger gewesen wäre, hätte ich es vielleicht noch geschafft, mit Chantal zu reden. Ich hätte sie nach unseren Kindern gefragt, auch nach unserem Hund.
Stattdessen …
Stattdessen schritt ich durch leere Säle und genoss die Stille. Das Licht des Morgens gab den Statuen und den Farben der Gemälde einen besonderen Glanz.
Stundenlang wanderte ich durch die Museen, und schließlich erreichte ich die Sixtinische Kapelle.
Als ich sie betrat … Mir war, als sähe ich sie zum ersten Mal.
Allein stand ich unter dem von Michelangelo bemalten Gewölbe. Die Farben des Jüngsten Gerichts schienen ganz neu zu sein, wie eben erst aufgetragen.
Welch eine Ironie, am Tag des Weltuntergangs das Gemälde des Jüngsten Gerichts zu betrachten …
Mindestens eine Stunde blieb ich dort. Mitten in der Kapelle saß ich, mutterseelenallein, und sah mir das Jüngste Gericht an.
Dann legte ich mich hin, wie im Gras eines Parks. Ich rollte die Jacke zu einer Art Kissen zusammen und streckte mich auf dem Boden aus, der Jahrhunderte der Geschichte gesehen hatte, von Päpsten zelebrierte Messen und Konklaven …
Mein Blick richtete sich auf eine bestimmte Stelle des riesigen Meisterwerks. Die Erschaffung Adams. Gott streckt dem ersten Menschen den Zeigefinger entgegen, und Adam hebt die Hand, um aus dem Schlamm gezogen zu werden.
Ich ging in dem Bild auf, bis ich das Gefühl bekam, dass sich mein Körper vom Boden löste, von der Erde, und Gott entgegenschwebte. Ich wusste natürlich, was geschah. Alle Zeitungen brachten große Schlagzeilen, und im Fernsehen gab es praktisch nur noch Nachrichten.
Lange Zeit lag ich da, und inzwischen mochte es Nachmittag geworden sein, als ich plötzlich eine Stimme hörte.
»In der Sixtinischen Kapelle können Sie sich nicht einfach hinlegen, mein Herr.«
Ich sah nach rechts.
Die Worte stammten von einem Aufseher in Uniform: ein alter Mann, der eine Brille mit dickem Gestell trug und ein antiquiertes Transistorradio in der Hand hielt. Eine Zeitmaschine schien ihn aus den Siebzigerjahren in die Gegenwart gebracht zu haben.
Ich sah ihn an, ohne zu antworten. Er versuchte es in anderen Sprachen, mit Französisch, Spanisch und in gebrochenem Englisch. Schließlich hatte ich Mitleid mit ihm.
»Ich spreche Italienisch«, erwiderte ich.
»Ah. Und warum liegen Sie dann noch da?«
»Weil es schön ist. Und weil ich allein bin. Ich störe niemanden.«
»Trotzdem, Sie müssen aufstehen.«
Ich lächelte.
»Sind Sie sicher, dass es verboten ist? Ich meine, steht in Ihren Vorschriften irgendwo geschrieben, dass sich in der Sixtinischen Kapelle niemand hinlegen darf?«
Der Aufseher hob erstaunt die Brauen und reagierte dann auf eine Weise, mit der ich nicht gerechnet hatte.
Er lächelte.
»Wissen Sie was? Sie haben recht.«
Er schnaufte ein wenig, und seine alten Knochen knackten, als er sich neben mich legte. Er wahrte eine gewisse Distanz, etwa einen Meter. Ein respektvoller Abstand. In dieser Hinsicht sind die Italiener Traditionalisten, besonders die Älteren unter ihnen.
Eine Zeit lang blieben wir so liegen und betrachteten Schöpfungsgeschichte und Sintflut.
»Seit dreißig Jahren arbeite ich hier in
Weitere Kostenlose Bücher