Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Bewaffneten betrafen, die sich weiterhin »Schweizergarde« nannte. Aber es fehlte jede Erklärung dafür, warum er sich das Leben genommen hatte. In einem zweiten Brief legte er Kardinal Albani nahe, mich zu seinem Nachfolger zu machen. Er dankte ihm für das Vertrauen und dafür, dass er versucht hatte, möglichst viele Menschen zu retten und ihnen ein einigermaßen normales Leben zu ermöglichen, ihnen zu essen, zu trinken und eine Hoffnung für die Zukunft zu geben.
Guidi war nach draußen gegangen, um sich zu erschießen, an einer Stelle, wo ihn der Fluss am nächsten Morgen erreichen und forttragen würde. Albani respektierte seinen Wunsch. Wir schützten uns so gut es ging mit Plastikplanen, atmeten mithilfe unserer mehr oder weniger geschickt zusammengebastelten Gasmasken und beobachteten, wie das Wasser stieg, dem Leichnam entgegen, den wir in ein weißes Tuch gehüllt hatten.
Der Fluss hob den Stoff und bewegte den Arm wie zu einem letzten Gruß.
Dann nahm er den Toten und trug ihn in Richtung Meer.
Seit jenem Tag bin ich der Hauptmann der Schweizergarde, der Kirche verpflichtet. Und ganz gleich, was Sie von mir denken, ich bin ein loyaler Soldat. Ich habe nie auch nur für einen Moment daran gedacht, den offiziell geleisteten Eid zu brechen. Und das gilt auch für meine Männer. Wir verraten nicht.
Durand sieht mich seltsam an, als er diese Worte spricht.
Er betont das »wir«.
Ich frage mich, wer seine Mission sonst verraten könnte.
Aber ich behalte diesen Gedanken für mich.
Stattdessen sage ich: »Sie haben eine Geschichte über Geister angekündigt.«
Der Hauptmann lächelt.
»Das ist sie. Sie erzählt von einem Mann weiß wie ein Geist, und von einem anderen, der sich das Leben nahm und uns als Toter noch einmal zuwinkte, bevor ihn das Wasser forttrug. Die Geschichte erzählt vom Ende der Welt und vier Überlebenden, die durch die Flure der Vatikanischen Museen gehen und versuchen, vor der Zerstörung zu fliehen. Aber wo soll man Zuflucht suchen, wenn das Ende der Welt gekommen ist?«
Wo soll man Zuflucht suchen, wenn das Ende der Welt gekommen ist?
»In der Engelsburg«, sagte Hauptmann Guidi. »Aber wir müssen sie auf Umwegen erreichen. Den Passetto können wir nicht benutzen.«
Der »Passetto di Borgo« ist ein achthundert Meter langer Gang vom Vatikan zur Engelsburg. Er diente den Päpsten als Fluchtweg.
Der Weg, den wir nahmen, war nicht der kürzeste und auch nicht der beste, aber ein anderer stand nicht zur Verfügung.
Ich weiß nicht mehr genau, wie wir die Engelsburg erreichten.
Mein Gedächtnis ist voller Zerrbilder von Dingen, die ich gesehen habe und die ich nie hätte sehen wollen.
Manche Leute meinen, wir hätten Glück gehabt.
Ich glaube das nicht. Sofort zu sterben, im Blitz der Explosion, oder langsam über Tage und Wochen hinweg, wie jene Menschen, denen wir unterwegs begegneten, diese armen, ziellos umherirrenden Seelen …
Niemand von den Leuten, denen wir auf dem Weg zur Engelsburg begegneten, ist heute noch am Leben. Das ist so ziemlich die einzige Gewissheit, die ich habe. Und wie haben wir überlebt, möchten Sie wissen?
Wir haben überlebt, weil Guidi immer auch an die Einzelheiten dachte. Bevor wir nach draußen gingen, stattete er uns mit dem Material aus, das ihm zur Verfügung stand, unter anderem mit Strahlenschutzplanen. Es gelang ihm sogar, Atemmasken für uns anzufertigen.
Auf dem Weg zur Engelsburg plünderten wir einige Warenautomaten und zwei oder drei Cafés. Wir kamen an einem Supermarkt vorbei, dessen Türen offen standen. Drinnen war niemand. Die Überlebenden versuchten erst später, sich zu schnappen, was sie kriegen konnten …
Wir nahmen uns vier Einkaufswagen, betraten den Supermarkt und hielten uns an Guidis Anweisungen. Er schärfte uns ein, die Wagen mit den Dingen zu füllen, die er für absolut notwendig hielt: Wasserflaschen, Konserven und medizinisches Versorgungsmaterial.
Als wir uns mit vollen Wagen den Kassen näherten, sah ich in einem Regal eine Puppe. Es war Kermit, der Frosch von den Muppets. Ich dachte daran, dass er meiner kleinen Tochter sehr gefallen hätte …
Bei dem Gedanken kamen mir die Tränen. Von einem Augenblick zum anderen habe ich geheult. Ich dachte an Danielle, Chantal und Olivier …
Ich dachte an die ganze zerstörte Welt.
Guidi versetzte mir eine Ohrfeige und forderte mich auf, den Wagen nach draußen zu schieben.
Und das machte ich …
»Aber Sie möchten eine Geschichte über Geister hören,
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