Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
der Barmherzigkeit hat es nicht leicht in dieser neuen, von Atombomben geschaffenen Welt.«
»Und euer Gott? Was für ein Gott soll das sein, für den ihr euch Blut ins Gesicht schmiert?«
»Deine Ignoranz ist noch schlimmer als deine Arroganz. Mit welchem Recht hältst du mir eine Predigt, der du immer in Sicherheit gelebt hast, im weichen, warmen Schoß der Kirche?«
Dass Durand zum Du übergeht, zeigt seinen Mangel an Respekt mir und der Autorität gegenüber, die ich repräsentiere. Plötzlich fühle ich mein Leben bedroht. Ich habe schon zu viel gesehen und zu viel gehört.
»Es ist kein Blut«, sagt Adèle leise.
»Was?«
»Es ist kein Blut, sondern Farbe. Die Männer benutzen kein Blut. Es ist nicht so, wie du denkst.«
Auch sie duzt mich jetzt.
Als ob wir plötzlich dicke Freunde geworden wären.
»Lass ihn«, sagt Durand gehässig. »Für ihn ist es ohnehin egal, ob Blut oder nicht. Es geht vor allem darum, dass unser Glaube seinen infrage stellt. Und die Reaktion der Kirche auf so etwas bestand immer aus Unterdrückung. Es ist eine zweitausendjährige Tradition der Christen, jene zu verfolgen, die nicht so denken wie sie.«
»Sie sprechen so, als wären Sie kein Christ.«
»Das bin ich auch nicht. Ich stehe in Diensten von Christen und gehorche ihren Befehlen, aber ich werde nie einer von ihnen sein, einer von euch .«
Ich sehe ihn an, und er erwidert meinen Blick, ohne ihm auszuweichen. Als Kind habe ich so etwas gemacht. Es war ein Spiel, eine Herausforderung: Wer kann den anderen am längsten anstarren, ohne zu lachen? Aber bei dieser Konfrontation gibt es nichts zu lachen.
Erstaunlicherweise ist es Durand, der den Blick schließlich senkt.
Und er beginnt zu lachen. Er lacht laut und lange, so lange, dass ich glaube, er will gar nicht mehr aufhören.
Dann setzt sich Durand zu uns.
Und so sitzen wir drei zusammen, wie junge Leute, die sich zu einem gemütlichen Plausch getroffen haben.
Dies wäre genau der richtige Moment für eine Geistergeschichte.
Hier kommt sie, die Geschichte …
14
GEISTER
Ich erzähle dir eine Geschichte, Priester.
Es ist meine, aber es könnte auch die Geschichte von jemand anderem sein.
Abgesehen von einigen bestimmten Details.
Der Tag, an dem die Welt endete … Ich nehme an, die meisten Menschen hatten das Glück, zu Hause zu sterben, die Hand der Ehefrau zu halten, oder die eines Sohnes oder einer Tochter. Oder vielleicht einen guten Freund zu umarmen. Manche Leute sind vielleicht im Bett gestorben, beim Sex. Angeblich haben die Sirenen fünf Minuten Vorwarnung gegeben. Was macht man in fünf Minuten, wenn die Welt endet?
Manch einer hat vielleicht getrunken, eine Flasche, die für eine besondere Gelegenheit reserviert gewesen ist. Andere haben vielleicht gelacht, so wie ich eben. Gelacht wie verrückt. Wieder andere haben vielleicht gezweifelt und gehofft, dass irgendetwas den Weltuntergang im letzten Moment verhindert. Oder sie haben fünf Minuten lang versucht, sich in Sicherheit zu bringen, obwohl sie wussten, dass es sinnlos war.
Ich denke, nie zuvor in ihrer Geschichte haben die Menschen in nur fünf Minuten so viel Aktivität gezeigt.
Ohne dass sich dadurch etwas an der Katastrophe änderte.
Aber wenigstens sind die meisten daheim gestorben, in der Gesellschaft von geliebten Personen.
Einige von uns hatten nicht so viel Glück.
Es heißt, damals sind Flugzeuge zu Dutzenden oder gar zu Hunderten vom Himmel gefallen. All die Maschinen, die in der Luft waren, als die Bomben explodierten.
Ein Regen aus Flugzeugen.
Kleine Insektenstiche für die Haut der Erde, im Vergleich mit den Atomexplosionen. Das spektakulärste Feuerwerk, das die Menschheit je erlebt hat. Natürlich hat es niemand von uns richtig gesehen. Wir können es uns nur ausmalen. Wer es gesehen hat, weilt nicht mehr unter uns.
Ich frage mich, wie der FUBARD wirklich gewesen ist, von draußen beobachtet.
Die einzigen Menschen, die uns Antwort darauf geben könnten, sind die Astronauten der Raumstation.
Aber ich schätze, sie sind schon seit einer ganzen Weile tot.
Wer weiß? Wenigstens konnten sie noch die Sterne bewundern, bevor ihr Leben zu Ende ging. Die Sterne, die wir seit zwanzig Jahren nicht mehr sehen. Sie haben die Sterne beobachtet, und das nukleare Feuer auf der Erde, wie die ganze Welt brannte. Sie haben den Rauch beobachtet, der von unseren Städten aufstieg und sich wie ein Leichentuch um die Erde legte.
Am Tag des Weltuntergangs befand ich mich in den
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