Die Zaehmung
gefährliche Augen. Wenn sie ihm sagte, daß sie Lady Liana war, Tochter eines der reichsten Männer von England, würde er sie dann vielleicht festhalten und ein Lösegeld für sie fordern?
»Ich ... ich muß zurück zu meinem Mann und . . . und meinen Kindern. Vielen Kindern«, setzte sie verhalten hinzu. Ihr hatte die Ausstrahlung von Kraft und Willensstärke gefallen, solange dieser Mann schlief; doch nun, wo er sie am Arm festhielt, gefiel ihr diese Aura nicht annähernd so gut.
»Schön«, sagte er, »Wenn du mit so vielen Plagen gesegnet bist, weißt du ja auch, wie man ein Hemd wäscht.«
Liana sah zu dem blasentreibenden Tümpel hin, wo von dem Hemd nur noch ein Ärmel zu sehen war. Sie hatte keine Ahnung, wie man ein Hemd wusch, und der Gedanke, daß sie dieses von Läusen wimmelnde Kleidungsstück noch einmal anfassen sollte, trieb ihr einen Schauer über den Rücken.
»Meine . . . meine Schwägerin erledigt die Wäsche für mich«, sagte sie und lobte sich selbst dafür, daß ihr so eine gute Ausrede eingefallen war. »Ich werde nach Hause gehen und sie zu Ihnen schicken. Sie wird sich sicherlich mit Freuden dieser Aufgabe widmen.«
Der Mann sagte kein Wort, deutete nur auf den Tümpel.
Liana begriff, daß der Mann ihr nicht erlauben würde, sich zu entfernen. Liana verzog das Gesicht, ging bis zum Rand des Tümpels und beugte sich vor, um das Hemd am Ärmel herauszuziehen. Sie konnte es nicht erreichen, also machte sie den Arm länger — noch länger . . .
Mit dem Gesicht nach unten fiel sie in den Tümpel. Der schwarze Schlamm kroch ihr bis zu den Ellenbogen hinauf und füllte ihre Nase und Augen. Einen Moment lang kämpfte sie wie wild mit dem zähen Zeug; aber da war nichts, woran sie sich festhalten konnte. Dann kam ein Arm zu ihr herunter und hob sie wieder auf festen Boden hinauf. Sie stand einen Moment da und spuckte den Schlamm aus, und dann stieß der Mann sie in den kleinen See hinein.
Erst mit dem Gesicht voraus in den Matsch, dann mit dem Rücken voran in eiskaltes Wasser.
Es gelang ihr, wieder auf die Füße zu kommen, und dann watete sie aus dem See. »Ich will jetzt wieder nach Hause«, murmelte sie, den Tränen nahe. »Joice wird mir eine heiße Molke mit einem Schuß Wein zubereiten und ein Feuer im Kamin anzünden. Und ich werde . . .«
»Glaubst du etwa, du könntest jetzt gehen? Mein Hemd liegt noch immer im Schlamm begraben!«
Sie blickte hinauf in seine kalten grünen Augen, und die Furcht vor ihm fiel plötzlich von ihr ab. Was glaubte er eigentlich, wer er sei? Er hatte kein Recht dazu, sie hier herumzukommandieren, selbst wenn er sie für die niedrigste Gänsemagd halten mochte. Er bildete sich wohl ein, er wäre ihr Herr und Meister, wie?
Sie war naß bis auf die Haut und fror; aber der Zorn hielt sie innerlich warm. Sie setzte ein, wie sie hoffte, unterwürfiges Lächeln auf. »Euer Wunsch ist mir Befehl«, murmelte sie und konnte dazu sogar ein friedliches Gesicht machen, was er mit einem zufriedenen Schnauben quittierte, als wäre das die Antwort, die er von ihr erwartet hatte.
Sie drehte ihm den Rücken zu, holte einen langen Stock unter einem Baum hervor und ging damit wieder zum Tümpel. Sie fischte das Hemd aus dem Schlamm, balancierte es einen Moment am Ende des Stocks und schleuderte es dann mit aller Kraft gegen ihn, daß es ihm kalt und hart gegen das Gesicht und die Brust klatschte.
Während er sich das Hemd wieder von der Haut schälte, begann Liana zu rennen. Sie kannte diesen Wald besser als jeder Fremde, und so lief sie schnurstracks zu einem hohlen Baum und versteckte sich darin.
Sie hörte ihn in der Nähe durch die Büsche waten und freute sich diebisch über sein Unvermögen, sie zu finden. Sie würde warten, bis er sich aus dem Wald entfernt hatte, dann zu ihrem Pferd zurückgehen, das auf der anderen Seite des kleinen Sees angebunden war, und wieder nach
Hause reiten. Wenn er ein Jäger war, würde sie ihn sicherlich morgen im Haus ihres Vaters begrüßen und sich daran weiden, wie er seines schlechten Benehmens wegen eine Entschuldigung stammelte. Vielleicht würde sie sich sogar eines von Helens Gewändern ausleihen — eines mit kostbarem Pelzbesatz und einem juwelengeschmückten Haaraufsatz. Sie würde so hell strahlen und funkeln, daß er, von ihr geblendet, die Augen schließen mußte.
»Du kannst ebensogut wieder herauskommen«, sagte er direkt vor dem hohlen Baum.
Liana hielt den Atem an.
»Oder gefiele es dir besser, wenn ich
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