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Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Taschner
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so als Geheimbotschaften zu chiffrieren, dass sie der Feind mit großer Gewissheit nicht entziffern konnte. Jedenfalls nicht in der kurzen Zeit, während der die Mitteilung bedeutsam war.
    Eine jahrtausendealte, sicher schon zur Zeit der Entstehung der Bibel gebräuchliche Methode der Verschlüsselung heißt Atbasch. Der eigenartige Name hat mit den Buchstaben des hebräischen Alphabets zu tun: Der erste Buchstabe א , aleph, cum granosalis das A, und der letzte Buchstabe
ת
, tow, das T, stehen für die erste Silbe des Wortes Atbasch. Und der zweite Buchstabe
ב
, beth, also das B,und der vorletzte Buchstabe
ש
, schin, der Zischlaut SCH, für die zweite Silbe (das eingeschobene „a“ in „-basch“ dient bloß dazu, diese Silbe aussprechen zu können). Die Verschlüsselungsmethode ergibt sich aus ihrem Namen: Man vertauscht in einer Botschaft den ersten Buchstaben des Alphabets mit dem letzten, den zweiten mit dem vorletzten, und so weiter. Dann entsteht daraus ein Buchstabengefüge, das man nur als Wirrwarr empfindet, aus dem man – jedenfalls beim ersten Hinblicken – nicht mehr die ursprüngliche Botschaft zu lesen vermag.
    Julius Cäsar hat Verschlüsselungen dieser Art gerne für seine Geheimbotschaften verwendet. Wollen wir zum Beispiel mit dem Atbasch, auf das lateinische Alphabet mit seinen 23 Buchstaben angewendet (das I und das J sowie das U und das V werden jeweils als ein Buchstabe geschrieben und das W kannte man noch nicht – es entstand erst im Mittelalter als doppeltes V), die folgende Geheimbotschaft entschlüsseln:
    ZNTZ PZXEZ TFE
    Zu diesem Zweck brauchen wir nur zweimal das lateinische Alphabet aufzuschreiben: einmal von links nach rechts und direkt darunter von rechts nach links:
A
B
C
D
E
F
G
H
I
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
V
X
Y
Z
Z
Y
X
V
T
S
R
Q
P
O
N
M
L
K
I
H
G
F
E
D
C
B
A
    Dieser Tabelle entnehmen wir, dass wir jeden vorkommenden Buchstaben Z durch A, den Buchstaben N durch L, jeden vorkommenden Buchstaben T durch E, den Buchstaben P durch I, den Buchstaben X durch C, jeden vorkommenden Buchstaben E durch T und den Buchstaben F durch S ersetzen müssen. Führen wir diese Ersetzungen durch, erhalten wir die ursprüngliche Botschaft Cäsars zurück:
    ALEA IACTA EST
    Dieses berühmte lateinische Zitat, übersetzt: „Der Würfel ist geworfen“, soll Cäsar beim Überschreiten des Flusses Rubikon geäußert haben. Den Rubikon mit einem Heer in Richtung Rom zu überschreiten bedeutete nämlich, die militärische Herrschaft über Rom anstreben zu wollen. Es gab danach kein Zurück.
    Wie man sehr rasch erkennt, ist die Verschlüsselungsmethode mit dem Atbasch allzu einfach. Es ist als wirklich sicheres Kodierungsverfahren unbrauchbar. Sobald ein Geheimdienst ein wenig Routine besitzt, hat er eine mit dem Atbasch kodierte Mitteilung in Windeseile entschlüsselt.
    Dass George Smiley den Namen des Agenten mit dem Atbasch verschlüsselt, kommt folglich nicht in Frage. Auch andere naheliegende Methoden, zum Beispiel jeden Buchstaben durch den unmittelbar nachfolgenden zu ersetzen (ebenfalls eine bereits von Cäsar benutzte Verschlüsselungsvariante), sind den gewieften Spionen des Ostens nicht gewachsen. Smiley muss sich weitaus raffinierterer Verfahren bedienen.
    Er weiß darüber gut Bescheid und fordert daher den Circus in London auf, ihm Hilfsmittel zur Codierung seiner Nachricht zu senden. Als Antwort bekommt er aus London zwei Zahlen: den Modul 221 und den Exponenten 11.

Geheimnisse schmieden und lüften
    Sofort stellt sich die Frage: Wie hat es der Circus geschafft, Smiley den Modul 221 und den Exponenten 11 mitzuteilen, ohne dass die Spione des Ostens davon Wind bekommen haben? Die Antwort lautet: Er hat sich gar nicht darum bemüht, diese beiden Zahlen geheim zu halten. Alle dürfen diese Zahlen kennen. Nicht nur Smiley, auch Karla, sein sinistrer Gegenspieler, der im fernen Russland die Fäden aller Geheimdienste des Sowjetreiches zu ziehen versteht. Und Karla weiß auch, was Smiley macht, um die Zahl seines Agenten mit Hilfe des Moduls 221 und des Exponenten 11 zu verschlüsseln, sie unkenntlich zu machen.
    Smiley nämlich beginnt zu rechnen.
    Das Rechnen des George Smiley ist auf den ersten Blick ein wenig eigenartig, weil er bei seinen Rechenergebnissen nur 221 Zahlen kennt. So viele, wie der Modul angibt. Nämlich die Zahlen
    0,1, 2, 3, 4, …, 216, 217, 218, 219, 220.
    Bei jeder größeren Zahl zieht er so oft 221 ab, bis er schließlich wieder zu einer Zahl dieser Liste gelangt.

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