Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)

Titel: Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Taschner
Vom Netzwerk:
Zur Beantwortung dieser Frage schlug der britische Mathematiker und Logiker Alan Turing bereits im Jahre 1950 vor, einen Test durchzuführen: Im Zuge des nach Turing benannten Tests führt ein menschlicher Fragesteller über eine Tastatur und einen Bildschirm ohne Sicht- und Hörkontakt mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern ein Gespräch. Der eine Gesprächspartner ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Beide versuchen den Fragesteller davon zu überzeugen, dass sie denkende Wesen sind. Wenn der Fragesteller nach der intensiven Befragung nicht klar sagen kann, welcher von beiden die Maschine ist, hat diese den Turing-Test bestanden.
    1966 entwickelte Joseph Weizenbaum, Computerpionier am Massachusetts Institute of Technology, ELIZA, ein Programm benannt in Anspielung auf Shaws Pygmalion, das die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen einem Menschen und der Zahlenmaschine über natürliche Sprache aufzeigen sollte. ELIZA arbeitet nach dem Prinzip, Aussagen des menschlichen Gesprächspartners in Fragen umzuformulieren und so eine Reaktion zu simulieren. Es dient als mechanischer Ersatz für einen Psychotherapeuten. Sagt der Patient zum Beispiel: „Ich habe ein Problem mit meinem Auto“, antwortet ELIZA: „Warum haben Sie ein Problem mit Ihrem Auto?“ Klagt eine Patientin: „Ich habe ein Problem mit meinem Vater“, geht ELIZA mit den Worten „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Familie!“ darauf ein. In diesem zweiten Beispiel hatte das Programm analysiert, dass „Vater“ zu „Familie“ gehört, und entsprechend „intelligent“ reagiert.
    ELIZA als Psychotherapeuten zu konzipieren, begründete Weizenbaum damit, dass es einem solchen Gesprächspartner erlaubt ist, keinerlei Wissen über die Welt zeigen zu müssen, ohne dass dadurch seine Glaubwürdigkeit verloren geht. Weizenbaum verdeutlichte dies anhand eines Beispiels: Wenn der menschliche Gesprächspartner den Satz „Ich bin mit dem Boot gefahren“ äußert, und die Zahlenmaschine antwortet darauf „Erzählen Sie mir etwas über Boote“, wird der Mensch nicht annehmen, dass sein Gesprächspartner kein Wissen über Boote besitzt.
    Versuchspersonen, die mit ELIZA kommunizierten, verhielten sich dann auch so, als wenn sie es mit einem menschlichen Gesprächspartner zu tun hatten. Offensichtlich war es ihnen nicht allzu wichtig, ob der Antwortende am anderen Ende der Leitung wirklich ein Mensch war oder eine Maschine. Es kam nur darauf an, dass die Antworten und Fragen menschlich erschienen. Die Versuchspersonen in den Experimenten waren zu einem großen Teil sogar davon überzeugt, dass der „Gesprächspartner“ ein tatsächliches Verständnis für ihre Probleme aufbrachte. Selbst wenn sie mit der Tatsache konfrontiert wurden, dass sie mit einer Zahlenmaschine „gesprochen“ hatten, die auf der Basis einiger simpler Regeln und sicherlich ohne „Intelligenz“, „Verstand“ und „Einfühlungsvermögen“ einfach gegebene Aussagen in Fragen umwandelte, weigerten sie sich oft, dies zu akzeptieren. Einige meinten sogar: „Die Maschine versteht mich besser als mein menschlicher Psychiater!“
    Weizenbaum war erschüttert über die Reaktionen auf sein Programm. Noch mehr verstörte ihn, dass praktizierende Psychiater ernsthaft daran glaubten, damit zu einer automatisierten Form der Psychotherapie gelangen zu können. Er mutierte nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen zu einem der geistreichsten und vehementesten Kritiker der unreflektierten Technologie der „künstlichen Intelligenz“.
    Das Erschütternde nämlich ist: Die Zahlenmaschine vermag das Bild des Menschen selbst zu ändern. Die Heimtücke im Turing-Test besteht darin, dass wir die Frage, ob die Zahlenmaschine menschlich zu denken vermag – also in einem gewissen Sinn dem Ziel seines Erfinders gemäß einwandfrei funktioniert –,auch umdrehen können: Besteht der Mensch den Turing-Test? Funktioniert auch er einwandfrei – oder hat man diejenigen Menschen, die nicht den Anforderungen der Zahlenmaschine entsprechen, die noch an Pascals „raison du cœur“, an das „Denken des Herzens“ glauben, zu entsorgen? Dies ist keine Übertreibung, derart atemberaubende Gedanken werden ernsthaft von den Propheten der „künstlichen Intelligenz“ wie Marvin Minsky oder Hans Moravec erwogen. „Wenn wir Glück haben, werden uns die Roboter als Haustiere behalten“, behauptet zum Beispiel Minsky.
    Und er meint es nicht als Scherz.

Der Anspruch auf Allwissenheit
Ein Gigant aus

Weitere Kostenlose Bücher