Die Zahl
ist hier in die Volksschule gegangen. Gemeinsam mit mir und all den Opfern.«
»Interessant. Erzähl weiter.«
»Er war ein kleiner, schmächtiger, stinkender Kerl, auf dem ständig alle rumgehackt haben. Die haben ihm das Leben zur Hölle gemacht. Verstehst du?«
»Das ist wirklich sehr interessant!«
»Das ist mehr als interessant. Denn er hat nicht nur Rache als Motiv, er hat auch Zugriff zu Betäubungsmitteln und Spritzen!«
»Mein Gott, der ist doch heute mit Nina essen gegangen! Den knöpf ich mir vor, bin schon unterwegs!«
»Nimmst du mich mit? Ich steh vorm Bäcker ... Prima, bis gleich.«
»Hoffentlich kommen wir nicht zu spät«, sagte Lorentz, während er sich anschnallte.
»Eigentlich hat Levi keinen Grund, Nina was anzutun«, versuchte
Morell Lorentz und sich selbst ein wenig zu beruhigen. »Nina stammt ja nicht aus Landau. Sie war also auch keines der Kinder, die ihn gehänselt haben.«
»Wer weiß, vielleicht hat Nina ja bei der Obduktion etwas entdeckt, und er will sie jetzt ausschalten.«
Morell schluckte schwer. »Lass uns trotzdem Ruhe bewahren. Wir dürfen jetzt nicht in Panik verfallen. Ich werde als Erstes überprüfen, ob Levi Alibis für die betreffenden Nächte hat. Wenn nicht, nehme ich ihn gleich mit aufs Revier.«
»Geht in Ordnung. Aber kannst du vielleicht ein bisschen schneller fahren?«
Capelli sah die beiden zuerst. Mit offenem Mund und großen Augen starrte sie Morell an, der, dicht gefolgt von Lorentz, wie eine Dampfwalze auf ihren Tisch zugestapft kam.
»Was soll denn das jetzt?«, begrüßte sie die beiden. »Was macht ihr hier? Spioniert ihr mir etwa nach?!« Sie presste die Lippen aufeinander und verengte ihre Augen, bis nur noch kleine Schlitze zu sehen waren.
Lorentz registrierte, dass sie sich ordentlich herausgeputzt hatte. Sie trug ein Kleid aus dunkelgrünem Samt, hatte ein wenig Make-up aufgetragen und es offenbar geschafft, ihre Kontaktlinsen in die Augen zu bekommen.
Morell, der nicht wusste, wie er mit der offensichtlich sehr verärgerten Gerichtsmedizinerin umgehen sollte, beschloss, sie einfach zu ignorieren, und wandte sich Dr.Levi zu.
»Dr.Levi, es tut mir sehr leid, dass ich Sie hier beim Essen stören muss, aber ich muss Ihnen dringend ein paar Fragen stellen.«
Dr.Levi, der völlig ruhig geblieben war, musterte den Chefinspektor. »Aber gerne«, sagte er. »Wollen Sie sich nicht setzen?«
»Nein danke«, antwortete Lorentz für Morell. »Wir stehen lieber.«
Capelli, deren Gesicht sich vor Zorn gerötet hatte, boxte Lorentz
auf den Oberschenkel. »Setzt euch gefälligst hin«, zischte sie. »Das ganze Lokal starrt uns an!«
Lorentz und Morell sahen sich um. Capelli hatte recht. Sämtliche Augen im Raum waren auf sie gerichtet. Sie setzten sich.
»Also, Herr Morell«, fing Dr.Levi an. »Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Ich muss Sie bitten, mir mitzuteilen, wo Sie sich vorgestern Nacht aufgehalten haben.«
»Was soll denn das jetzt!?«, rief Capelli entrüstet und klopfte auf den Tisch, sodass die Gläser klirrten.
»Schon in Ordnung«, sagte Dr.Levi und griff nach ihrer Hand. Dann wandte er seinen Blick wieder Morell zu. »Da war ich zu Hause und habe geschlafen.«
»Und es gibt niemanden, der das bestätigen kann?«
»Nein, tut mir leid. Ich war die ganze Nacht alleine.«
»Und wie sieht es mit der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag letzter Woche aus?«
»Dasselbe«, antwortete Dr.Levi kurz und bündig.
»Und in der Nacht vom 11 . auf den 12 .Dezember sieht es wahrscheinlich auch nicht besser aus, oder?«
Dr.Levi dachte kurz nach. »Herr Morell, was erwarten Sie?«, fragte er. »Ich bin Single und lebe in einem kleinen Ort. Es gibt hier nicht sehr viele Möglichkeiten zur Abendgestaltung. Außerdem gehe ich vor allem unter der Woche eher früh schlafen, da ich ja eine Praxis zu führen habe, und als Arzt sollte man ausgeschlafen sein.«
»Ich werte das als ein Nein«, stellte Morell fest.
»Wenn Sie so wollen.« Dr.Levi sah den Chefinspektor ruhig an. »Sagen Sie, Sie glauben doch nicht etwa im Ernst, dass ich der gesuchte Mörder bin.«
»Ähm, doch ... das heißt, ich weiß nicht ... möglich wäre es«, stammelte Morell, den die Gelassenheit des jungen Arztes ein wenig verunsicherte. »Sie haben Ihre Kindheit hier verbracht, und
einige der anderen Kinder, darunter auch Josef Anders, Andreas Adam und Raimund Schelling, haben Ihnen ziemlich übel mitgespielt. Außerdem haben Sie als Arzt Zugriff auf
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