Die Zahl
Sascha hat nichts ergeben, gar nix. Es wurden keine Blutspuren gefunden, keine Haare der Opfer, kein Betäubungsmittel, keine Spritzen – absolut nichts. Ist doch merkwürdig, wo doch die Opfer derart gequält wurden.« Morell wurde durch das Klingeln seines Handys unterbrochen. Er sah kurz auf das Display und hob dann ab. »Nein, Sie stören nicht ... ja, ich habe diese Anweisung gegeben ... bitte.« Er hörte kurz zu, schließlich sagte er »vielen Dank« und legte auf. »Das war das Krankenhaus – Sascha ist aufgewacht.«
»Und?«
»Anscheinend hat er sich nicht sehr darüber gefreut, dass die Ärzte sein Leben gerettet haben. Er hat angefangen zu weinen und versucht, die Schläuche aus seinen Armen zu reißen. Die Krankenschwester hat zum Glück schnell reagiert und ihm gleich eine Beruhigungsspritze verpasst. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.«
Capelli begann vor lauter Nervosität zu zittern. »Hat er etwas gesagt?«
»Ja«, Morell setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. »Er hat anscheinend mehrmals etwas von einer Lebensversicherung gestammelt, die seine Frau und seine Tochter jetzt nicht mehr kriegen würden.«
»Oh nein!« Capellis Herz begann schneller zu schlagen, und ihre Hände wurden feucht. »Er konnte sich nicht selber umbringen, weil Lebensversicherungen bei Selbstmord nicht ausgezahlt werden ...«
»... und darum kamen ihm zwei nervöse Polizisten mit Pistolen gerade recht«, vervollständigte Morell. »Er hat darauf spekuliert, dass wir ihn erschießen und seine Familie das Geld aus der Lebensversicherung
bekommt. Das passt viel besser zu dem Sascha, den ich kenne, als die Theorie vom kaltblütigen Serienkiller.«
»Okay, dein Freund ist wahrscheinlich aus dem Schneider, aber wo ist Leander?« Capelli war aufgesprungen und wischte sich Tränen aus den Augen. »Gibt es ein Rätsel? Einen Hinweis? Irgendetwas, das uns hilft herauszufinden, wo wir ihn suchen müssen?«
»Beruhige dich. Leander ist ein zäher Kerl, der lässt sich nicht so leicht unterkriegen.« Morell war aufgestanden und drückte sie zurück auf den Stuhl. »Ich habe da so einen Verdacht. Wir haben doch dieses kleine Segelschiff im Brunnen gefunden.«
»Ja, der Mörder hat darauf die Zwölf hinterlassen.« Capelli wollte sich ein Glas Wasser einschenken, aber sie zitterte zu sehr.
»Ich dachte zuerst, dass das Schiff ein Mittel war, die Zwölf gut sichtbar zu platzieren – ein passendes Mittel, denn Maria segelte früher ja gern, wie mir ihr Mann erzählt hat. Aber heute hat Valerie etwas zu mir gesagt, das mich aufhorchen ließ.« Morell nahm Capelli das Glas aus der Hand, füllte es und reichte es ihr.
»Und das wäre?«, Capellis Hände bebten so stark, dass ein Großteil des Wassers aus dem Glas schwappte. Sie schien es nicht zu bemerken und starrte Morell an.
»Valerie hat gesagt, dass es immer Marias größter Traum war, einmal die Welt zu umsegeln. Das hat mich auf eine Idee gebracht.«
»Otto, bitte beeil dich. Wir haben vielleicht nicht mehr viel Zeit.«
»Eine Sache, über die ich mich die ganze Zeit gewundert habe, war, dass alle Opfer auf eine andere Art ums Leben gekommen sind. Normalerweise morden Serienkiller auf ein und dieselbe Weise. Außerdem waren die Tatorte, wie soll ich es sagen ...«, Morell suchte nach dem richtigen Wort, »... inszeniert, als wollte der Täter – ganz unabhängig von der Zwölf – durch den Ort und die Art des Todes etwas ausdrücken. Verstehst du, was ich meine?«
Capelli nickte. »Du meinst, Sascha hätte seine Opfer auch auf der Straße erschießen oder in ihrem Bett erstechen können.«
»Genau. Das wäre doch viel einfacher gewesen.«
»Hm, vielleicht wollte Sascha auch zu verstehen geben: Diese Leute haben die Träume meiner Tochter zerstört, jetzt zerstöre ich ihre.«
»Habe ich auch schon dran gedacht, aber mir ist das viel zu ... intellektuell. Ich kenne Sascha, der ist anders gestrickt.«
»Marias Leidenschaft war also das Segeln. Der Mörder hat sie ertränkt und ein Segelschiff hinterlassen. Wie sieht es bei den anderen Opfern aus? Joe zum Beispiel oder Andreas?«
»Keine Ahnung. Ich kannte sie nicht so gut, aber ich habe gesehen, dass Stefan da ist. Er war ein Freund von Andreas.«
Capelli stand auf und zerrte an Morells Arm. »Worauf wartest du dann noch?«
Morell fand Stefan im Flur, wo er sich, lässig an eine Kommode gelehnt, mit Julia, der Floristin, unterhielt.
»Na, wen haben wir denn da?«, fragte er. »Der Held des Tages
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