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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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schon im fortgeschrittenen Verwesungszustand, und die Oberhaut hat bereits begonnen, sich vom Muskelgewebe zu lösen – von den Faulwasserblasen ganz zu schweigen. Äh, soll ich lieber aufhören?« Capelli schaute Morell an, der angewidert auf seine Zucchini starrte. An einigen Stellen hatte der Käse, den er zum Überbacken verwendet hatte, kleine Blasen geworfen.
    »Schon gut, erzähl ruhig weiter«, sagte der Chefinspektor und schob sich demonstrativ ein Stück Gemüse in den Mund.
    »Ich habe Organ-, Blut- und Urinproben genommen. Vielleicht kann der nächste Hubschrauber, der hinunter ins Tal fliegt, diese Proben mitnehmen und ins Labor bringen. Nach den toxikologisch-chemischen Untersuchungen wissen wir dann mehr.«
    Morell nickte. »Ich werde mich erkundigen, wie wir die Proben so schnell wie möglich nach Innsbruck befördern können.« Er überlegte. »Josef Anders war groß und kräftig. Es hätte schon einen Sinn, wenn der Mörder ihn irgendwie außer Gefecht gesetzt hat.«
    Erneut betrachtete er sein Abendessen. Er würde in der nächsten Zeit wohl keine Gerichte mehr mit Käse überbacken.

»Unter zwölf Aposteln muß immer einer hart wie Stein sein,
damit auf ihm die neue Kirche gebaut werden könne.«
    Friedrich Nietzsche, Der Wanderer und sein Schatten
    Es ist so kalt in der Kirche, dass ich meinen Atem sehen kann. Die harten, unbequemen Holzbänke sind voll besetzt. Mein Blick gleitet über ein Meer aus schwarzen Mänteln und Hüten. Diese Heuchler sind aus purer Sensationslust gekommen. Nicht, weil sie Josef mochten und sich von ihm verabschieden wollen. Nein, ihre Trauer und Bestürzung ist, außer bei wenigen Ausnahmen, nur gespielt. Die meisten sind aus Neugierde hier, manche aus Höflichkeit, einige aus Pflichtgefühl.
    Die ganze Kirche riecht nach Weihrauch, Blumen und Mottenkugeln. Der Gestank der Frömmelei, der Mief der Bigotterie. Er nimmt mir beinahe den Atem.
    Sie loben den Toten, trauen sich nicht, etwas Schlechtes über ihn zu sagen. Wenn sie nur gehört hätten, wie er gequiekt, gewinselt und geschrien hat. Wenn sie sie doch nur gerochen hätten, die Ausdünstungen, die Josef in seinen letzten Minuten verströmt hat – den Gestank von Angst und Tod. Wenn sie nur das viele Blut gesehen hätten. Purpurfarben, warm und klebrig. Wie Ungeziefer hat es sich in allen möglichen Ritzen und Spalten verkrochen. Es war schwer, den Boden wieder sauber zu bekommen
und die letzten Reste von Joe aus meinem Keller zu tilgen.
    Wenn sie doch nur dabei gewesen wären und die Wahrheit über seinen Tod kennen würden! Dann würden sie nicht mehr so ruhig hier sitzen und bedächtig der monotonen Predigt lauschen.
    Am liebsten würde ich laut aufschreien. Ihr kranken Idioten! Warum könnt ihr denn nicht endlich eure Augen öffnen und sehen, was ich getan habe? Ich habe es für euch gemacht! Es war doch alles nur zu eurem Besten! Wie die Lämmer sitzt ihr hier, klein und unschuldig wartet ihr darauf, auf die Schlachtbank geführt zu werden, um dort dasselbe Ende zu nehmen wie Joe. Was ist los mit euch? Wollt ihr euch denn nicht helfen lassen? Wollt ihr nicht gerettet werden?
    Zu dumm, dass die verdammte Schubert meine Botschaft fand, bevor ihr sie sehen konntet. Damit hatte ich natürlich nicht gerechnet. Es sieht fast so aus, als müsste ich ein weiteres Exempel statuieren.
    Dort hinten steht Otto Morell, der dicke Polizist. Sieh sich doch nur mal einer sein angespanntes Gesicht an. Wenn er versucht, sich zu konzentrieren und dabei seine Augen zusammenkneift, sieht er aus wie ein kleines Schweinchen. Er überlegt sicher, ob einer der hier Anwesenden der Mörder ist. Ja, Otto, hier bin ich! Komm doch und hol mich! Du wirst es nie schaffen, mich zu finden. Dazu bist du viel zu dumm und zu träge. Du wirst wahrscheinlich nie kapieren, was hier eigentlich passiert.
    Was für eine Überraschung! Sogar Leander Lorentz ist gekommen. Dieser eingebildete Idiot. Er hält sich für etwas Besseres, glaubt, er sei ein Geschenk Gottes an die Menschheit. Sieh ihn sich doch einmal einer an, wie er dasitzt, mit seinem gelangweilten Gesicht, der hochgezogenen Oberlippe, der stocksteifen Haltung – gerade so, als hätte er einen Besen verschluckt.
    Dass sich dieser ewige Besserwisser hier blicken lässt, hätte ich nicht gedacht. Wahrscheinlich wird er gleich nach dem Gottesdienst
wieder nach Hause gehen und sich unter Mamas Rock verkriechen. Wie immer, wenn er zu Besuch kommt, wird er sich zu fein sein, um sich unter uns,

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