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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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besten Freunde gewesen.
    Er versuchte die lästige Agnes Schubert, die ihm euphorisch zuwinkte, zu ignorieren und begrüßte Konrad Hirschmann, seinen Nachbarn.
    Der 75 -jährige Witwer besuchte Morell häufig, um ein wenig Gesellschaft zu haben. Da der Chefinspektor nicht gerne für sich alleine kochte, freute er sich immer, wenn Konrad mitaß. Er schüttelte die pergamentartige Hand seines Freundes und winkte Erich, einem anderen guten Bekannten, zu, der gerade versuchte, seinen Bierbauch zwischen zwei Kirchenbänken hindurchzuquetschen.
    Erich Altmann war von Beruf Förster und ein passionierter Jäger. Er hatte deswegen schon viele nächtelange Diskussionen mit dem Chefinspektor gehabt, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Wenn Morell Raupen oder andere Schädlinge auf seinen Blumen fand, dann steckte er sie in ein großes Einmachglas und setzte sie später auf einer wilden Wiese in der Nähe seines Hauses wieder aus.
    Ganz hinten, in der letzten Reihe, saß Dr.Capelli, die ein wenig verloren zwischen all den Einheimischen wirkte. Sofort überkam Morell wieder eine Welle von schlechtem Gewissen. Schließlich hatte sie es ihm zu verdanken, dass sie jetzt in Landau festsaß.
    Der Chefinspektor schüttelte den Kopf und versuchte, das üble Gefühl wieder loszuwerden. Er hatte nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Es war seine Pflicht, einen Gerichtsmediziner anzufordern, und für das Wetter konnte er nun wohl wirklich nichts.
    Pfarrer Gieselbrecht und die Messdiener betraten die Kirche und unterbrachen Morells Gedanken. Das monotone Murmeln, das die Kirche bisher erfüllt hatte, verstummte, und die versammelte Gesellschaft erhob sich. Ein kleiner Moment der Stille trat ein, der nur kurz durch einen unterdrückten Schluchzer, der irgendwo aus den vorderen Reihen kam, gestört wurde.
    Morell war zwar nicht sehr gläubig, aber er war stets gerne in die Kirche gegangen. Für ihn war das alte Gebäude ein Ort der Ruhe gewesen, an den er sich manchmal zurückzog.
    Das alles war durch einen einzigen Vorfall zerstört worden. Dieser friedvolle Platz hatte sich plötzlich in einen Ort des Grauens
verwandelt. Und nicht nur die Kirche hatte für Morell eine ganz neue Bedeutung bekommen. Erneut überkam ihn der traurige Gedanke, dass er auch Landau und die Menschen, die hier lebten, in einem anderen Licht sah. Es konnte doch nicht sein, dass er sich in einem von ihnen so sehr getäuscht hatte?!
    Er musste es herausfinden. Er brauchte Klarheit. Ganz gleich, was es kostete.
    Morell fand die Zeremonie sehr bewegend. Pfarrer Gieselbrecht hatte sich große Mühe gegeben, die Feier so einfühlsam wie möglich zu gestalten. Das einzig Störende war der verschwenderische Umgang mit dem Weihrauch. Sogar hier hinten wurde er von dem strengen, beißenden Geruch umhüllt. Es schien beinahe so, als versuchte der alte Priester, das Böse auszuräuchern.
    Als er die Kirche verließ, spürte Morell Trauer, Bestürzung und Mitleid mit Josefs Angehörigen. Morells Eltern hatten immer mit dem Schlimmsten gerechnet, als er noch bei der Kriminalpolizei in Wien war. »Kein Elternteil sollte seine Kinder überleben müssen«, hatte seine Mutter manchmal gesagt. Zum Glück war ihr das erspart geblieben.
    Draußen auf der Straße bemerkte Morell, dass auch die Wut, die er bereits am Sonntag gespürt hatte, wiedergekommen war. Er war voller Zorn und Hass auf denjenigen, der seine heile Welt zerstört und dafür gesorgt hatte, dass nichts mehr so war wie vor ein paar Tagen.
    Und dann war da noch ein Gefühl. Ganz schwach und klein hatte es sich in Morells Magen eingenistet. Ein kleiner Samen, der langsam wuchs, der immer größer wurde und in Richtung Kopf wanderte. Das war die Angst vor dem, was noch kommen würde.

»Ich beschloß noch zwölf Vorübergehende
abzuwarten, und mich dann,
wenn mir von diesen keiner etwas mitteile,
in den Strom zu stürzen.«
    Ludwig Tieck, William Lovell
    Als Leander von der Toilette kam, dachte er kurz daran, die Flucht anzutreten, entschied sich dann aber dagegen, da er es sich nicht mit seiner Mutter verscherzen wollte. Er hatte keine Ahnung, wie sie das machte, aber auf jeden Fall hatte sie ihn voll im Griff. Ein Trick, den wohl die meisten Mütter draufhatten. Er warf also einen wehmütigen Blick in Richtung Notausgang und betrat dann schweren Herzens die Gaststube des Kirchenwirts.
    Er schaute sich mit zusammengepressten Lippen in dem verrauchten, rustikal eingerichteten Raum um, in dem sich die

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