Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
Vom Netzwerk:
ihn einfach übersehen hatte. Zeugen, die das Gegenteil hätten beweisen können, gab es keine, daher konnte und wollte Morell nichts weiter unternehmen.
    Frau Vogelmann wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich mache dir jetzt deinen Kaffee. Es dauert nur einen Moment.«
    Als sie langsam und leicht gebeugt das Zimmer verließ, murmelte sie ganz leise vor sich hin. »Ach, Walti, mein armer kleiner Walti, mein guter, süßer Walti ...«
    Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie zurück ins Wohnzimmer kam. Morell hatte sich schon ernsthafte Sorgen gemacht und war mehrmals kurz davor gewesen, in der Küche nach dem Rechten zu sehen. Frau Vogelmann hatte ihm in den letzten Monaten genug Ärger gemacht – da traute er ihr ohne weiteres zu, dass sie ihm jetzt aus purer Gehässigkeit vor den Augen wegsterben würde.
    Morell war daher umso froher, als sie mit zwei Tassen Kaffee ins
Wohnzimmer kam. Ihre Hände zitterten dabei so sehr, dass ein Großteil der braunen Flüssigkeit auf den Teppich tropfte. Der Chefinspektor sprang auf, nahm ihr die Tassen aus der Hand und stellte sie auf den Tisch. Anscheinend hatte sie geweint, denn ihre Augen waren feucht und sie schniefte.
    »Mein kleiner Walti war ein schlauer Hund«, sagte sie und stellte eine Zuckerdose neben die Tassen. »Niemals wäre er so leichtsinnig gewesen, einfach vor ein Auto zu rennen. Ich habe ihm so oft gesagt, er müsse aufpassen, und er hat mir fest versprochen, dass er nur im Garten spielen und nicht auf die Straße gehen würde. Anders hat ihn mit Absicht überfahren. Ich habe es die ganze Zeit über gewusst!«
    Morell, dem schon wieder die Worte fehlten, rührte geschäftig Zucker in seinen Kaffee.
    »Du bist doch hier, um mir das zu sagen, oder? Du weißt doch, dass ich recht habe.«
    »Sie haben recht«, sagte Morell und wusste nicht genau, warum er das tat. »Walti wurde ermordet.« Er hoffte, dass er sie damit ein wenig aufmuntern konnte, und nachdem Joe nun tot war, war es sowieso egal. Frau Vogelmanns Augen begannen zu leuchten. »Ich wusste es«, sagte sie. »Trink deinen Kaffee, bevor er kalt wird.«
    Morell nahm einen Schluck und überlegte, wie er sie weiter ausfragen konnte, ohne sie traurig zu machen oder zu verärgern.
    »Frau Vogelmann«, begann er vorsichtig. »In der Nacht von Samstag auf Sonntag, was haben Sie da gemacht?«
    »Sapperlot! Du willst mich doch nicht etwa verdächtigen? Mich, eine arme, gebrechliche Frau?« Sie kniff die Augen zusammen und starrte ihn an. Die alte, einsame Frau, die noch vor einem Augenblick hier gesessen hatte, war wieder zu einer runzligen Furie mutiert.
    ›Oh Gott, sie war es‹, schoss es Morell durch den Kopf, als er ihren Blick sah. Er dachte an Tee mit Beruhigungstropfen, Hebebühnen, Sackkarren, Wagenheber und andere Dinge, die es der alten
Frau ermöglicht haben könnten, den Mord zu begehen. Horteten alte Menschen nicht oft riesige Mengen an Spritzen und Medikamenten? War es für so eine kleine, schrumpelige Dame nicht sicher sehr einfach, ein ahnungsloses Opfer in ihre Falle zu locken? Der Schein trügt! Stille Wasser sind tief!
    »Natürlich sind Sie nicht verdächtig«, versuchte er sie zu beruhigen. »Ich dachte eher daran, dass Sie vielleicht etwas gesehen haben?«, probierte er sich aus der Affäre zu ziehen.
    »Wo denkst du hin, Bua! Ich bin eine alte Frau und brauche meine Ruhe. Ich war die ganze Nacht in meinem Bett und habe geschlafen.«
    Die Frage, ob irgendwer diese Aussage bestätigen konnte, schenkte sich Morell.
    »Josef Anders war ein böser Mensch. Ständig hat er seinen Müll in meinen Garten geworfen, und gegrüßt hat er mich auch nicht. Du willst wissen, wer ihn umgebracht hat? Ich kann es dir sagen, Bua. Der Teufel war es höchstpersönlich.«
    Morell starrte sie fassungslos an. Anscheinend driftete sie wieder in eine ihrer wirren Phasen ab. Bevor er etwas sagen konnte, sprach sie weiter.
    »Ich bin nicht verkalkt. Hier oben ist alles in bester Ordnung.« Sie tippte sich wieder gegen die Stirn, und Morell fürchtete, dass sie sich bald ein Loch in den Kopf klopfen würde, wenn sie so weitermachte.
    »Und die hier«, sie zeigte auf ihre Ohren, »funktionieren auch noch bestens. Ich habe die Leute tuscheln gehört, und es hat mich nicht gewundert, als ich das mit der Zwölf vernommen habe.«
    Verdammt, jetzt hatte sich das mit der Zwölf auch schon herumgesprochen! Sicher hatte die Schubert ihren Mund nicht halten können. »Und warum nicht?«, fragte Morell und

Weitere Kostenlose Bücher