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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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bemühte sich, seine Überraschung zu verbergen. »Was hat es Ihrer Meinung nach mit dieser Zahl auf sich?«
    Frau Vogelmann bedachte ihn wieder mit einem dieser Blicke,
die Morell dazu brachten, ihr einfach alles zuzutrauen. »Sapperlot, das ist wieder typisch Jugend«, fauchte sie. »Keine Ahnung von den wichtigen Dingen. Ihr habt keine Werte und keine Moral, und Gott und die Kirche kennt ihr auch nur noch vom Hörensagen.«
    Morell hatte ganz vergessen, dass Frau Vogelmann strenggläubig war. Sie war so sehr vom Katholizismus überzeugt, dass sie wahrscheinlich die Inquisition wieder einführen würde, wenn sie könnte.
    »Im Christentum ist die Zwölf eine heilige Zahl, denn sie besteht aus drei mal vier«, belehrte sie Morell. »Drei ist die Zahl von Gott. Sie steht für die Heilige Dreifaltigkeit: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Vier ist die Zahl der Welt. Sie steht für die Jahreszeiten, die Elemente und die Himmelsrichtungen. Zwölf ist deshalb auch die Grundmaßzahl des Himmlischen Jerusalem, und Jesus kam mit zwölf Jahren das erste Mal in den Tempel ...«
    »Und warum bedient sich Satan dann dieser heiligen Zahl? Warum nimmt er nicht seine eigene Nummer, die 666 ?«
    »Na, weil er Gott und die Engel verspotten wollte. Er hat die heilige Zahl entweiht. Das war es, was er wollte.«
    Morell trank den letzten Schluck Kaffee und stand auf. Es war an der Zeit zu gehen. Die alte Frau machte ihm Angst, und außerdem bohrte sich ihr Stuhl unangenehm in sein Hinterteil.
     
    Als der Chefinspektor wieder zurück aufs Revier kam, stand Bender am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
    »Bitte lassen Sie mich nie wieder allein hier«, flehte er. »Sie können sich gar nicht vorstellen, was in der Zwischenzeit alles los war!«
    Morell betrachtete das Wirrwarr aus Zetteln, Stiften und Tassen, das auf Benders Schreibtisch herrschte. Er konnte sich sehr wohl ausmalen, was im Büro los gewesen war. Das war nun einmal der Alltag bei einer Mordermittlung. Er hatte gehofft, nie wieder
diesen Druck und diese Hektik zu erfahren, aber sein Wunsch war leider unerfüllt geblieben.
    »Agnes Schubert ist wieder einmal da gewesen und hat sich beschwert, dass irgendwer den Weihnachtsschmuck von ihrer Tür gestohlen hat. Sie hat Ihnen außerdem ein Stück Kuchen mitgebracht. ›Zur Stärkung‹, wie sie gesagt hat.« Bender rollte mit den Augen. »Außerdem gab es weitere Anrufe von Menschen, die meinen, etwas zur Klärung des Falles beitragen zu können.« Er hielt einen ganzen Stapel von Notizen hoch.
    »Irgendetwas Interessantes dabei?«
    »Soweit ich es beurteilen kann, nicht«, sagte Bender. »Aber ich dachte, Sie sollten trotzdem alles noch einmal durchlesen. Schließlich sind Sie der Experte.«
    ›Oh je‹, dachte Morell. Vielleicht war er zu seinem Assistenten heute Morgen doch etwas zu schroff gewesen. Hinzu kam, dass Benders Enthusiasmus wohl langsam, aber sicher dem Stress zum Opfer fiel. Diese Entwicklung hatte er schon bei vielen jungen Polizisten gesehen. Er war gespannt, ob Bender dem Druck gewachsen war.
    »Hat sich denn der Arzt gemeldet«, fragte er.
    »Ach ja, richtig, der hat auch angerufen. Er bittet um Ihren Rückruf.«
    Na, das war doch wenigstens etwas. Immerhin wurde Morell dank dieser Nachricht von der denkbar schlechtesten Meldung des Tages zumindest für ein Weilchen abgelenkt: Der Mitteilung, dass Agnes Schubert wieder einmal bei ihm aufgekreuzt war.

»Die Lösungen lassen sich den angegebenen
Gesichtspunkten – zwölf an der Zahl – entnehmen.«
    Aristoteles, Die Probleme und ihre Lösung
    Kurz nach sechzehn Uhr läutete im Haus des Chefinspektors das Telefon. Es war Morell selbst, der es geschafft hatte, den Gemeindearzt von der Dringlichkeit einer Obduktion zu überzeugen. Dass dieser sogar alle nötigen Utensilien für eine Leichenöffnung besaß, war ein Riesenglück gewesen.
    »Servus, Nina, kannst du in einer halben Stunde in der Leichenhalle sein? Dr.Levi, unser neuer Gemeindearzt, wird dort auf dich warten. Er hat einen Schlüssel und wird alles Erforderliche mitbringen.«
    »In Ordnung«, sagte Capelli, legte auf und schaute aus dem Fenster. Der Himmel war grau, und das Wetter mehr als nur unfreundlich. Um ehrlich zu sein, hatte sie überhaupt keine Lust, das gemütliche, warme Wohnzimmer des Chefinspektors zu verlassen, aber versprochen war nun einmal versprochen. »Sorry, Dickerchen«, sagte sie zu Fred und wälzte den übergewichtigen Kater von ihrem Schoß, »aber die Arbeit

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