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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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unsichtbare Flusen von seinem Kragen.
    Sie würde wahrscheinlich nie akzeptieren, dass er ein erwachsener Mann war. Solange er kein Enkelkind produzierte, das sie bevormunden konnte, würde er ihr Opfer bleiben.
    Lorentz entschied sich, nicht auf den Kommentar seiner Mutter einzugehen, denn seine Blase war kurz davor zu explodieren. Da der Kirchenwirt der mit Abstand nächste Ort war, an dem er aufs Klo gehen konnte, folgte er ohne zu jammern seinen Eltern in Richtung Hölle.
     
    ...
    Morell sah sich um und seufzte. Die kleine Kirche von Landau platzte aus allen Nähten. Er schüttelte ungläubig den Kopf, normalerweise kamen hier so viele Besucher nur bei der Kirchweih oder der Weihnachtsmette zusammen.
    Er stand im hinteren Teil des Gotteshauses und wartete auf eine Erleuchtung. Immerhin befand er sich hier auf geweihtem Boden. Der aber vor kurzem entweiht worden ist, erinnerte ihn eine kleine Stimme in seinem Kopf.
    Er würde die Sache also alleine, ohne Hilfe von oben, in die Hand nehmen müssen.
    Er ließ seinen Blick über die voll besetzten Bänke schweifen.
    Der Mörder kehrt immer an den Schauplatz seines Verbrechens zurück, hieß es doch so schön in vielen Krimis. Es waren mindestens 200 Menschen gekommen. Etwas weniger potenzielle Rückkehrer wären Morell sehr recht gewesen.
    Er tat so, als müsse er husten.
    Der Strom der Leute, die die Kirche betraten, wollte nicht abreißen. Einige hatten Blumen mitgebracht, andere zündeten vor dem Altar kleine Gebetskerzen an.
    Es war kein schöner Tag für eine Andacht. Es war viel zu kalt, und durch die bunten Glasfenster drang nur wenig Licht.
    Morell stand da, beobachtete, nickte einigen Menschen zur Begrüßung zu und merkte wieder einmal, wie sehr ihn die Situation überforderte. Es waren einfach zu viele – zu viele potenzielle Mörder, zu viele Verdächtige. Wieder und wieder ließ er seinen Blick über die Gesichter der Trauergäste wandern. Er kannte so gut wie jeden von ihnen.
    Er fröstelte, und das lag nicht nur an der unangenehmen Temperatur, die in der Kirche herrschte, sondern auch an dem Gedanken, dass wahrscheinlich einer der Anwesenden ein kaltblütiger Mörder war.
    Er traute es keinem von ihnen zu. Die Menschen in dieser Gemeinde waren irgendwie auch seine Schäfchen. Während Pfarrer Gieselbrecht sich um ihre Seelen kümmerte, war er für den Rest verantwortlich. Es konnte, nein, es durfte einfach nicht sein, dass einer der Einheimischen ein Wolf im Schafspelz war, der sich hier in der Masse der Trauergäste versteckt hielt.
    Es war Morell sehr wohl bewusst, dass die Landauer keine Heiligen waren, jeder von ihnen hatte seine kleinen Geheimnisse und ein paar schlechte Eigenschaften.
    Es gab im Ort viel Neid, viele kleine Streitereien, manch einer
trank zu viel oder betrog seine Frau, es gab Verkehrsdelikte und hie und da ein paar kleine Diebstähle. Aber Mord? Niemals!
    Er musste das Verbrechen aufklären! Er würde sonst nicht mehr ruhig schlafen und keinem mehr in die Augen sehen können, ohne dass sich dabei ein fahler Geschmack in seinem Mund oder unangenehme Hintergedanken in seinem Kopf bildeten.
    Sehr wahrscheinlich ging es den anderen Einwohnern auch so. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Hexenjagden begannen. Er musste den Fall aufklären, damit wieder Ruhe herrschte – in Landau und in seinem Kopf.
    Morell ließ seinen Blick weiter über die Trauergemeinde wandern und hoffte, nach wie vor vergeblich, auf einen Wink von oben.
    Ganz vorne, in der ersten Reihe, saß Iris Anders, die wie ein kleines Häuflein Elend vor sich hin schluchzte. Hinter ihr saß eine dicke Frau, die Iris’ Schulter tätschelte und zu der sich die Witwe nun umdrehte, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Das war Maria Zieher, Iris’ Freundin, die ihn vor zwei Tagen am Telefon so wüst beschimpft hatte. Morell wollte schon seine Hand zum Gruß heben und Iris auf diesem Wege Mut zusprechen. Doch sie hatte sich bereits wieder nach vorn gedreht, und er ließ seine Hand auf halbem Wege in der Hosentasche stecken. Verlegen betrachtete er weiter die Anwesenden.
    Auf der linken Seite von Iris saß die Mutter des Opfers, die gerade von der netten Frau Lorentz getröstet wurde. Aber wer war der Mann, der neben Frau Lorentz saß?
    »Ach du Schande«, murmelte Morell. Das war ja ihr Sohn, dieser affektierte Schnösel. Wie hieß der nochmal? Genau, Leander. Was machte der denn hier? Ach ja, fiel Morell ein, Leander und Josef waren ja früher einmal die

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