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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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immer mehr Mitglieder des Hofes von den Vorkommnissen Notiz genommen hatten. Immer wildere Gerüchte kursierten, die so weit gingen, dass behauptet wurde, Olly würde von ihrem Schwager ein Kind erwarten.
    Auch an anderen Höfen wurde über die Affäre geredet – und über den Zaren und seine fruchtlosen, fast peinlichen Bemühungen, Kanzler Metternich von den Vorzügen seiner Tochter zu überzeugen.
    Zum Glück bekam Olly von den weiten Kreisen, die ihre Affäre zog, nicht viel mit. Gegen das Gerede in St. Petersburg schützte sie sich auf ihre Art: Sie trug den Kopf noch höher als sonst, ihre Miene wurde maskenhaft, außer einem kleinen Kreis Vertrauter ließ sie niemanden mehr an sich heran. Lächelte ein Mann sie an, wich sie argwöhnisch zurück. Versuchte er, ihr Komplimente zu machen, ließ sie ihn stehen aus lauter Angst, noch einmal hintergangen zu werden. Großfürstin Olga sei arrogant und abweisend, hieß es bald darauf.
    Nicht jeder Mann ist schlecht, sagte ihr Anna immer wieder, und dass sie ihr Misstrauen wieder ablegen müsse. Doch Olly hatte ihr Innerstes wie eine Auster fest verschlossen.
    Inzwischen war Julia von Haucke wieder an Cerises Seite, doch Olly ging sie geflissentlich aus dem Weg. Auch Alexander von Hessen war seit Anfang des Jahres zurück in der Stadt. Sogleich hatte er sichin den Petersburger Festtrubel gestürzt, er wurde bei allen Karnevalsveranstaltungen gesehen. Ob er und Julia sich trafen, wusste Anna nicht. Dagegen bekam sie immer wieder zu hören, dass sich Alexander mit zweifelhaften Französinnen herumtrieb, und auch die eine oder andere Adelsdame wurde mehrmals in seiner Begleitung gesehen. Der Name Bijoutte Scheremetjeff tauchte immer wieder auf, auch eine gewisse Orange wurde genannt. In einigen Hofkreisen schien es derzeit in Mode zu sein, Wetten darauf abzuschließen, welche der Damen Alexander als Erste ins Unglück stürzen würde: die verheiratete Bijoutte oder die ledige Orange.
    Besonders froh sah Alexander trotz all seiner Eroberungen jedoch nicht aus, dachte Anna, wann immer er ihr, gekleidet in seine schmucke Uniform, zufällig begegnete. Zumindest lief alles, was seine militärische Laufbahn anging, bestens – trotz seines jugendlichen Alters war Alexander vom Zaren zum Generalmajor der ersten leichten Gardekavalleriedivision ernannt worden.
    Anna seufzte tief auf. Bestimmt hatte der Zarewitsch es durch sein Eingreifen gut mit seiner Schwester gemeint, aber war gutgemeint nicht meist das Gegenteil von gut?
    Inzwischen war die Gesichtscreme völlig in Ollys zarte Haut eingezogen, und Olly wirkte nach dieser Massage etwas entspannter.
    Annas Blick blieb im Spiegel auf ihrem eigenen Antlitz hängen. Ihre Miene verdüsterte sich. In den letzten Monaten war die Narbe an ihrer Stirn dunkler und die Runzeln um ihre Augen tiefer geworden. Was bist du nur für ein altes, unnützes Weib geworden, ärgerte sie sich.
    Nachdem Grand Folie es sich neben Olly im Bett bequem gemacht hatte, setzte sich Anna auf den Bettrand, nahm Ollys Hand und sagte: »Zugegeben, Friedrich von Hessen ist vielleicht das, was man einen Jean sans terre nennt, aber Mary hat doch ebenso erwähnt, dass seine Familienverhältnisse diverse Aussichten auf zukünftige Würdentitel bieten. Für den vagen Fall, dass sich die Angelegenheit mit Stephan wirklich zerschlagen sollte, wäre Friedrich von Hessen also ein geeigneter Heiratskandidat.«
    »Ein ›Hans ohne Land‹? Ist es so weit schon gekommen?« Olly seufzte traurig.
    ImStillen gab Anna ihr recht. Es war geradezu empörend, mit ansehen zu müssen, wer alles wagte, um die Tochter des Zaren zu werben. Emporkömmlinge niedrigster Gesinnung! Der eine steinalt, der andere dumm, der nächste ohne ein Mindestmaß an Erziehung. Einen hatte Anna sogar laut sagen hören, der Zar könne froh sein, wenn sich jemand einer alten Jungfer wie Olga erbarme. Alle glaubten sie, ihre ärmlichen Höfe mit dem »Erwerb« einer Zarentochter aufwerten zu können. Gott sei Dank wies der Zar jeden Einzelnen von ihnen ab!
    Olly ließ Annas Hand los, rutschte tiefer unter ihre Decke. »Ich weiß, ihr meint es alle gut mit mir. Aber mir ist die ganze Angelegenheit so zuwider. Seit ich denken kann, wollte ich auf keinen Fall in dieses schreckliche Heiratskarussell geraten, wo man selbst nichts zu sagen hat und auf das Wohlwollen sämtlicher beteiligter Parteien angewiesen ist. Ich wollte keine ›Diplomatenware‹ werden, sondern selbst entscheiden, wessen Frau ich werde.

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