Die Zarentochter
Licht darzustellen. Sie und Max haben diesen Friedrich ein einziges Mal auf einer Reise getroffen, wie will sie da eine Aussage über seinen Charakter treffen können? Außerdem stammt er nur aus einer Seitenlinie des Hauses Hessen-Kassel, was meine liebe Schwester beiläufig in einem Nebensatz erwähnte.«
»Sei nicht so schnippisch. Bei Alexander hätte es dich doch auch nicht gekümmert, dass er keinerlei Ansprüche auf einen Thron hat.« Anna zog Olly halb spielerisch, halb tadelnd an dem Zopf. Sie nahm eine Zitronenscheibe von dem Teller, der jeden Abend von der Küche bereitgestellt wurde, und rieb damit Ollys Gesicht in kreisenden Bewegungen ab. Nicht umsonst hatte ihr Zögling einen so strahlenden, reinen Teint, dachte sie voller Stolz bei sich. Als Nächstes öffnete sie einen der silbernen Tiegel, die auf Ollys Toilettentisch standen. Sofort zog der Duft von Bienenwachs und süßen Mandeln durch den Raum. Vorsichtig holte Anna mit dem Zeigefinger ein wenig der duftenden Creme heraus und verteilte sie auf Ollys Gesicht.
»Und wohin hat mich diese Haltung gebracht?«, murmelte Olly mit geschlossenen Augen. »Belogen und betrogen hat er mich.«
»Ach Kind, woher willst du das so genau wissen.« Anna hatte keine Ahnung, wie oft sie diesen Satz schon gesagt hatte. Sie zauderte für einen Moment, dann fuhr sie fort: »Es ist wieder ein Brief von ihm angekommen. Ich habe ihn dort drüben hingelegt.«
Ollyöffnete kurz ein Auge und blinzelte in Richtung ihres Sekretärs. »Wirf ihn weg. Besser noch, verbrenne ihn. Warum lässt er mich nicht endlich in Ruhe?«
Anna, die sich dasselbe fragte, schwieg. Der Zarewitsch Sascha hatte seine Fäden einst wirklich sehr geschickt gesponnen, dachte sie nicht zum ersten Mal. Ollys Liebe für den hessischen Prinzen war abgestorben wie eine Pflanze, auf die man Gift geschüttet hatte.
Natürlich hatte Alexander versucht, Olly alles zu erklären.
In den Tagen und Wochen, die auf Saschas Hochzeit folgten, hatte er Olly immer wieder um ein Treffen gebeten, vergeblich. Einmal trafen sie sich zufällig auf dem Gang des Palastes, vielleicht hatte er Olly auch aufgelauert, Anna wusste es nicht. Olly hatte sich seine Beteuerungen mit versteinerter Miene angehört. Die Umarmung mit Julia von Haucke, nichts als ein Missverständnis. Der Kuss ebenfalls! Er hatte sie um Verzeihung gebeten, sie regelrecht angebettelt. Doch sie war wortlos davongegangen.
»Glaubt er, ich wäre nicht nur dumm, sondern auch noch blind? Ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, wie innig sie sich geküsst haben! Wie konnte er mir das antun? Ich dachte, er liebt mich! Ich dachte, wir wären füreinander bestimmt«, hatte sie Anna gegenüber immer wieder lamentiert und sich Nacht für Nacht in den Schlaf geweint. »War alles nur gelogen? Alles nichts wert? Mich so zu hintergehen, das verzeihe ich ihm nie!«
Seine Briefe hatte sie nicht geöffnet. Jeden einzelnen hatte sie vernichtet.
Anna war zwar einerseits froh, diese Liaison, aus der nichts hatte werden dürfen, beendet zu sehen. Über die Art und Weise allerdings war sie sehr betrübt. Was war besser, fragte sie sich: an einem gebrochenen Herzen zu leiden oder sein Herz vom Dolch des Verrats durchbohrt zu bekommen?
Sascha hatte sich liebevoll um die untröstliche und in ihrem Stolz gekränkte Olly gekümmert. Sie dürfe dem Schwager nicht böse sein, meinte er sanft. Ein junger Mann sei in Gefühlsdingen nun einmal etwas flatterhaft. Und ein so attraktiver Bursche wie Alexander brach die Blüten eben, wo er sie fand. Auch das sei normal, wo die Damendoch so sehr für ihn schwärmten. Wie, Olly habe noch nicht gehört, dass es außer Julia von Haucke noch andere Verehrerinnen gab? Konnte es sein, dass Olly in Alexander mehr gesehen hatte, als in seiner Person zu finden war? Hatte Olly den Schwager womöglich zu einer Art Traummann stilisiert? So etwas sei immer ein Fehler, besser wäre es, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Er, Sascha, wisse, wovon er spräche. Und er wolle nur Ollys Bestes.
Deshalb schlug er auch vor, Cerises Hofdame Julia von Haucke eine Zeitlang aufs Land zu schicken. Dem Schwager legte er einen längeren Urlaub in der Heimat nahe. Seine Geschwister und Cerise schwor er ein, die Angelegenheit mit Stillschweigen zu behandeln, um Ollys Gefühle nicht weiter zu strapazieren. Woran sich diese natürlich nicht hielten – in solch einer dramatischen Angelegenheit wollte jeder seine Meinung kundtun.
So war es nicht ausgeblieben, dass
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