Die Zarentochter
Und ich wollte etwas Sinnvolles mit meinem Leben anstellen und nicht nur von einem Ball zum nächsten tanzen. Aber nun ist alles schlimmer gekommen, als ich es mir je vorstellen konnte. Ach Anna, in welchen Schlamassel bin ich da nur geraten?«
Das fragte sich Anna allerdings auch.
22. KAPITEL
W as meint ihr – sollen wir hier im Hauptsalon eindecken oder im Garten?«, fragte Mary ihre Schwestern.
Es war Anfang Juni, die drei Schwestern hielten sich seit Pfingsten im Familienlandhaus in Peterhof auf. Später am Tag sollte Friedrich von Hessen anreisen. Außer ihm hatte Mary auch noch einen ihrer Cousins, den Großherzog Franz von Mecklenburg, einge laden.
Das erste Diner mit den Gästen sollte in einem familiären Rahmen stattfinden: Olly und Adini, Mary und Max, das Zarenpaar, Sascha und Cerise. Es tat nicht not, Friedrichs Aufmerksamkeit durch die Anwesenheit hübscher Hofdamen oder von Helenes Töchtern in die Irre zu führen, hatte Mary in ihrer Rolle als inoffizieller Gastgeberin beschlossen. Niemand hatte ihr widersprochen.
Mit verschränkten Armen betrachtete Olly den großen sonnenbeschienenen Salon, dessen grüne Wände in eine weiße Stuckdecke übergingen. Auf dem Boden lag ein gewebter Teppich, dessen Muster auf die gotischen Fensterrosetten abgestimmt worden war. Alles zusammen strahlte eine spielerische, anheimelnde Atmosphäre aus, die Olly sehr liebte.
»Hier ist es so langweilig«, sagte Adini und hustete. »Und staubig obendrein. Warum planen wir für unsere Gäste kein Picknick am Strand?«
Mary schüttelte heftig den Kopf. »Das ist mir viel zu unbequem.
Aberdu hast mich auf eine Idee gebracht.« Triumphierend schaute sie ihre Schwestern an. »Wir geben unser Diner in der Eremitage.«
Zu dritt wanderten sie durch den Park. Im Sonnenlicht wirkte die Eremitage mit ihrem weißen Stuck wie eine riesengroße, mit Zuckerguss verzierte Torte. Über die Zugbrücke, die einen Wassergraben überspannte, gelangten sie ins Innere des Gebäudes. Es stammte noch aus der Zeit ihres Urahns Peters des Großen, der auf seinen Reisen durch Frankreich und Italien entzückt davon gewesen war, dass Gäste dort in pittoresken Gartenpavillons bewirtet wurden. Die Eremitage im Park von Peterhof war seine pompöse Umsetzung der europäischen Tradition.
Unter Gelächter quetschten sich Mary, Adini und Olly in den Fahrstuhl, der eigentlich nur für zwei Personen gedacht war. Diese Art, in den Speisesaal im ersten Stock zu gelangen, ist wirklich originell, dachte Olly. Dass auch die Speisen per Aufzug in den ersten Stock transportiert wurden, war die zweite Besonderheit dieses Gebäudes.
Oben angekommen, begann Adini erneut zu husten.
»Du wirst doch nicht etwa schon wieder krank?«, sagte Olly und beäugte die Schwester kritisch. Violette Schatten lagen unter ihren Augen, die Haut wirkte dünn und spröde wie Papyrus.
»Es ist nur der Staub«, keuchte Adini.
Natürlich hätten sie das Eindecken des großen runden Esstisches an das Personal delegieren können, aber für ihre ganz speziellen Gäste wollten sie selbst alles hübsch herrichten. Auf die schneeweiße Tischdecke folgte Porzellan aus der Petersburger Manufaktur, dazu gesellten sich rote Sektschalen und grüne Wasserkelche aus Muranoglas, silberne Pokale für den Wein, Etageren …
Irgendwann waren die Fächer der großen Anrichte leer geräumt. Der Tisch sah wunderschön aus.
»Das hat richtig Spaß gemacht«, sagte Olly erstaunt. Mary zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Warte nur ab, wie viel Spaß du haben wirst, wenn du den wichtigsten Gast erst siehst …«
Friedrichvon Hessen sowie Großherzog Franz von Mecklenburg trafen am frühen Nachmittag wohlauf und in bester Laune ein. Während sich die unglückliche Adini, erschöpft von ihrem Husten und einer drohenden Erkältung, in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, um zu ruhen, begrüßten Olly, Mary und ihr Gatte Max die Gäste herzlich. Ja, die Reise sei gut verlaufen. Ein langer Weg, gewiss. Aber äußerst interessant. Vor allem das letzte Stück, die Seepassage von St. Petersburg zur Sommerresidenz der Zarenfamilie, hatte es den beiden jungen Männern angetan. Falls möglich, wollten sie während ihres Aufenthalts unbedingt noch eine Bootsfahrt unternehmen.
Olly nickte heftig. Natürlich wäre das möglich, am besten würden sie alle gemeinsam zu einem solchen Ausflug aufbrechen.
Bei Tee und Gebäck unterhielten sie sich angeregt. Als man sich am späten Nachmittag in die jeweiligen Zimmer
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