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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Sätzen davon.
    »Bist du verrückt geworden? Er hätte mich fast mit seinem Huf getroffen!«, fuhr Olly Mary an, doch die winkte nur ab.
    »Passt auf: Ich jage alle drei Zossen mit meiner Peitsche über die Weide, und der Erste, der am gegenüberliegenden Zaun angekommen ist, ist der Gewinner. Aber zuvor wetten wir drei, welches Pferd gewinnt. Pah, nur weil wir Mädchen sind, heißt das noch lange nicht, dass wir keinen Spaß haben dürfen.«
    »Das ist die blödeste Idee, die ich seit langem gehört habe«, erwiderte Olly. »Wenn Vater erfährt, dass wir seinen Zuchthengst über die Weide gejagt haben, dann –«
    »Ich denke auch, es ist besser, wir lassen das«, bestätigte Adini.
    »Vater,Vater! Ich kann’s nicht mehr hören. Was seid ihr bloß für Feiglinge«, sagte Mary abfällig.
    »Ich und ein Feigling? Das kann ich schon nicht mehr hören! Der da ist meiner«, sagte Olly und zeigte auf einen der Wallache.
    Mary lachte. »Dann setze ich auf den anderen Zossen. Und Adini bekommt den großartigen Lugano. Na Schwesterherz, ist das etwa nichts?« Drohend hob sie ihre Peitsche hoch und ging den Pferden entgegen.
    Der Zaun am anderen Ende der Weide war marode, viele seiner Pfosten morsch oder völlig durchgefault. Daher waren im Abstand von einem Meter zum alten Zaun über die ganze Länge der Weide tiefe Löcher ausgehoben worden, in die an einem der nächsten Tage die Pfosten für einen neuen Zaun gesetzt werden sollten. Ein flüchtig gespanntes dünnes Seil sollte die Pferde von diesem Teil der Weide abhalten.
    Während zwei der Pferde in der Mitte der Weide abdrehten, um vor Marys lautem Geheul zu flüchten, rannte eines geradeaus weiter und durchbrach das kaum sichtbare Seil.
    Der Tierarzt ließ vorsichtig das rechte Vorderbein des Pferdes sinken und strich ihm über die Flanken. »Da ist nichts mehr zu machen.« Er senkte den Kopf.
    Ein dumpfes Aufheulen erklang. Alle Köpfe fuhren zu Zar Nikolaus herum.
    Beschämt schaute auch Olly zu ihrem Vater hinüber, der leichenblass dastand. Tränen liefen über ihre Wangen. Im Rücken spürte sie die Hand ihrer Gouvernante, aber nicht einmal Charlottes Gegenwart vermochte den Schrecken des Augenblicks zu dämpfen.
    Lieber Gott im Himmel – was hatten sie nur getan?
    Nachdem Lugano im vollen Galopp in eines der Löcher getreten war, hatte er sich einmal vollständig überschlagen. Das dumpfe Geräusch beim Aufprall des riesigen Tierleibes auf dem feuchten Boden war das Schrecklichste, was Olly je gehört hatte. Mühevoll hattesich der Hengst wieder aufgerappelt, seine zuvor seidige Mähne klebte erdverkrustet an seinem Hals. Keine der Schwestern hatte sich getraut, ihm nahe zu kommen, stattdessen hatten sie nur fassungslos auf das verletzte Tier gestarrt – dass mit ihm etwas nicht stimmte, war allen sofort klar gewesen. Es war Adini, ausgerechnet die Jüngste, die zum Stall gerannt war und Bescheid gesagt hatte.
    Der Zar erwachte aus seiner Starre, fuhr sich mit der Hand grob übers Gesicht. »Und wenn wir das Bein schienen? Wenn wir ihm absolute Stallruhe gönnen, könnte er dann nicht –« Er brach ab, als er das Kopfschütteln des Arztes sah.
    »Bei einer anderen Art von Bruch vielleicht, aber hier? Es tut mir leid, Hoheit.«
    Außer dem leisen Rascheln des Windes, der durch die Birken blies, war nichts zu hören. Ein paar Schwalben, die ihre Nester in den nahe gelegenen Stallgebäuden gebaut hatten, zogen in der glutrot untergehenden Sonne ihre Kreise, als erwarteten sie ein besonderes Schauspiel. Das Pferd, dessen rechtes Bein den Boden nicht mehr berührte, zerrte an dem Strick, mit dem der Tierarzt es festhielt. Suchend schaute es sich nach seinen Weidegenossen um.
    Alles nur ein böser Traum!, durchfuhr es Olly.
    Im nächsten Moment zog ihr Vater seine Reitpeitsche hervor. Bevor die anderen wussten, wie ihnen geschah, ging er auf Kolja, seinen ersten Pferdepfleger, los. »Du Bastard, du bist schuld!« Die Schläge prasselten ungehindert auf den Leib und das Gesicht des alten Mannes ein. Er duckte sich, Blut lief seine Wangen hinab, seine Beine knickten ein.
    Olly riss sich von Charlotte los. »Vater, nicht!«
    »Olly, lass das!«, rief Sascha, und seine Stimme überschlug sich. Er versuchte, sich ihr in den Weg zu stellen.
    »Kolja kann nichts dafür! Wir sind schuld!« Sie zerrte am Arm des Vaters. »Bitte …«
    Die Reitpeitsche sank. Der Pferdepfleger sackte auf der Stelle zusammen, und unter dem eiskalten Blick des Vaters begannen Ollys Eingeweide

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