Die Zarentochter
Pariser Mode, den Schal auf
diese Art zu tragen? Mache ich es richtig?«
»Schauen Sie, Maman, geht es auch so?«
Zusammen mit Charlotte Dunker schaute Olly vom Sofa aus zu, wieMary und Adini sich um den Toilettentisch ihrer Mutter drängten und begierig versuchten, einen Blick in deren Spiegel zu erhaschen.
Erst seit ein paar Tagen durfte Olly immer wieder einmal für kurze Zeit ihr Bett verlassen – wie jeden Tag hatte sie dabei auch heute das Boudoir ihrer Mutter aufgesucht. Am frühen Abend waren dort nicht nur die Zarin Alexandra und ihre Zofen anzutreffen, sondern meistens auch Mary und Adini. Alle genossen den prachtvollen Raum, der ganz in Gold und Weinrot gehalten war, die intime Atmosphäre, in der es nach Puder und dem Parfüm ihrer Mutter duftete, wo Edelsteine glitzerten und Spitzenstoffe verheißend raschelten.
Adini und Kosty hatten sie oft im Krankenzimmer besucht, und trotzdem hatte sich Olly in den nicht enden wollenden Tagen der Bettruhe oft einsam gefühlt. Umso mehr sehnte sie sich nun nach der Gesellschaft ihrer Familie.
Heute Abend hatte sie allerdings noch einen weiteren Grund, ihre Mutter zu besuchen: In wenigen Tagen würden die Eltern zu einer längeren Reise aufbrechen, und Olly wollte sie zuvor unbedingt noch wegen einer Brille für den Bootsjungen Mischa ansprechen. Als sie am Nachmittag Charlotte gegenüber diesbezüglich eine Bemerkung gemacht hatte, war diese kreidebleich geworden und hatte gemurmelt, Olly wäre noch nicht wieder stark genug, um sich derart zu exaltieren.
»Exaltieren? Ich will Mutter doch nur um eine Mildtätigkeit bitten«, hatte Olly lachend erwidert und sich über Charlottes seltsamen Blick gewundert.
»Gräfin Wielhorski hat uns heute Abend eine Tanzaufführung versprochen«, erklärte Alexandra ihren Töchtern gerade. »Maria Taglioni ist die derzeit berühmteste Ballerina der Pariser Oper. Meine Schwestern haben sie schon in Berlin tanzen sehen und waren voll ends begeistert. Wer weiß – vielleicht kann euer Vater sie über reden, nach Petersburg umzusiedeln? Mit ihrem ausdrucksvollen Spitzentanz wäre sie für unser Ensemble gewiss eine Bereicherung.« Aus lauter Vorfreude röteten sich Alexandras Wangen, und dennoch begann eine der Zofen, mit einem Schwamm noch künstliches Wangenrot aufzutupfen.
»Opern- und Ballettbesuche, Bälle und Empfänge – ach, ich kann es kaum erwarten, mich endlich auch hübsch machen zu dürfen und die Nächte hindurchzufeiern!« Schwärmerisch wiegte sich Mary hin und her. »Wenn es nur schon so weit wäre …«
Wie rosig und gesund Mary aussah, dachte Olly neidisch. Ihr eigenes Gesicht war durch die Krankheit spitz und blass geworden, ihre Lippen wirkten schmal und blutleer. Tagtäglich musste sie deswegen rohe Leber und rote Bete essen – die Ärzte waren überzeugt, dass diese Speisen ihr Blut wieder zum Wallen brachten. Olly war sich da nicht sicher, sie hatte Mühe, die rohe Leber bei sich zu behalten, so sehr widerten die wabbeligen rohen Innereien sie an.
»Als ob das alles das reinste Vergnügen wäre! Seit Stunden sitze ich hier und lasse alles Mögliche über mich ergehen.«
Zarin Alexandra Feodorowna wies mit dem Kopf in Richtung ihrer Kammerzofen.
»Ist eure Mama nun schön genug?«, fragte sie, als die Zofe die Dose mit dem Wangenrot zur Seite legte.
Alexandra Feodorowna trug ein tiefrotes Kleid aus Batist. Das enganliegende Oberteil war mit Stickereien verziert, die an Spinnweben erinnerten, dazwischen waren Hunderte von silbernen Blüten angebracht, eine jede in der Mitte mit einem andersfarbigen Edelstein verziert. Die üppigen Ärmel und der Rock waren nicht bestickt, dafür in regelmäßigen Abständen Fäden aus dem Stoff herausgezogen worden, was dem ganzen Ensemble eine federleichte Note verlieh.
»Wunderschön bist du«, hauchte Olly. So viel Aufwand wegen einer Tanzaufführung – war das nicht ein wenig übertrieben?, schoss es ihr durch den Kopf. Fast hätte man denken können, ihre Mutter selbst würde auf der Bühne stehen. Sie holte tief Luft. Jetzt oder nie.
»Mutter – darf ich Sie etwas fragen?«
Die Zarin nickte großmütig, während eine Zofe ihr Ohrgehänge anlegte.
»Esgeht um den Bootsjungen, der Kosty gerettet hat, er –«
Der Kopf der Zarin drehte sich so abrupt zu ihr um, dass der Schmuck scheppernd zu Boden fiel.
»Charlotte!«, fuhr sie die Gouvernante scharf an.
»Ich … Großfürstin Olga weiß noch nichts, Eure Hoheit … Ich dachte, solange sie krank ist,
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