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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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zu rebellieren. O Gott, gleich würde sie sich vor lauter Angstin die Hose machen … Mit letzter Kraft hielt sie seinem Blick stand. »Uns musst du bestrafen«, wiederholte sie leise.
    »Nein!«, kreischte Mary auf. »Vater … Ich … Wir wollten doch nicht, dass Lugano was geschieht. Hätte Kolja uns nicht erlaubt –«
    »Seid still, alle beide!«, fuhr Nikolaus auf.
    »Madjedew?« Seine Stimme war leblos und leer.
    Der Offizier nickte. »Bringen wir es hinter uns.« Mit schwerfälligen Schritten und hängenden Schultern setzte er sich in Bewegung, während die umstehenden Männer zurücktraten und eine Schneise für ihn frei machten. Lugano wieherte.
    Hektisch winkte Charlotte Olly wieder zu sich. Auch Mary startete keinen zweiten Anlauf zu ihrer Verteidigung, was normalerweise ihre Art gewesen wäre, sondern ließ sich von Julie Baranow, ihrer Gouvernante, zu Adini und Mrs Brown ziehen.
    Olly und Adini schauten sich an, jede sah im Blick der anderen die eigene Verstörung.
    »Was haben wir nur angerichtet«, flüsterte Adini.
    »Das hättet ihr euch vorher überlegen sollen. Erst Kosty, jetzt ihr. Habt ihr Kinder eigentlich nichts als Unfug im Kopf?«, murmelte Charlotte Dunker so leise, dass es keiner der Männer hören konnte. »Dass das Ihre Idee war, Großfürstin, hätte ich mir denken können!«, zischte sie Mary zu.
    »Ach, seien Sie doch still«, sagte Mary, jedoch ohne die übliche Barschheit, mit der sie der Dänin sonst begegnete.
    »Ja, die Wahrheit wollen Sie nicht hören, aber –«
    Olly zupfte an Charlottes Ärmel. »Bitte. Nicht jetzt.«
    Madjedew kam zurück, in der einen Hand hielt er eine Pistole, in der anderen einen Apfel. Kurz bevor er das Pferd erreicht hatte, wies Zar Nikolaus ihn an, stehen zu bleiben. Dann trat er selbst auf das Tier zu, schlang die Arme in derselben Art um dessen Hals, wie Olly es zuvor getan hatte. Vertrauensvoll legte der Hengst den Kopf über die Schulter seines Herrn. Vor dem seidig schwarzen Fell des Tieres stach Nikolaus’ Gesicht kalkweiß ab. Die anwesenden Offiziere wandten sich peinlich berührt um, während der Mann, der, ohne mit der Wimper zu zucken, Tausende von Aufständischen hatte deportieren,foltern oder gar töten lassen, seinen Tränen ungehindert freien Lauf ließ.
    Olly zitterte am ganzen Leib. Ich halte das nicht aus! Bitte, lieber Gott, mach, dass ein Wunder geschieht! Auch ihr schossen die Tränen in die Augen, tropften von ihrem Kinn zu Boden.
    Im nächsten Moment löste sich ihr Vater von dem Pferd, das ihn verwundert anschaute.
    »Hoheit?« Fragend hielt Madjedew die Pistole hoch.
    Zar Nikolaus drehte sich zu Mary um. »Komm her!«
    Mary sah sich zögerlich nach Julie Baranow um, doch die Gouvernante machte keine Anstalten, ihr zu folgen.
    »Nimm den Apfel!«, herrschte der Vater sie an.
    Marys Augen weiteten sich bestürzt.
    »Gib ihm den Apfel. Und halte dabei die Hand still. Wehe, ich sehe dich auch nur zucken!«
    »Vater, Sie können doch nicht erwarten, dass ich –«
    »Los!«
    »Entschuldigen Sie, Vater, aber vielleicht wäre es besser, wenn ich –«, krächzte Sascha. Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn der Zar riss Madjedew die Pistole aus der Hand, packte mit der anderen Hand Marys Arm, zog sie bis vor das Pferd.
    Unter dem eisigen Blick ihres Vaters streckte Mary ihren Arm aus.
    Das Pferd schnaubte erfreut und öffnete sein Maul, um den Apfel zu nehmen. Im selben Moment setzte Zar Nikolaus die Pistole an die Stirn des Hengstes.
    Krampfhaft presste Olly die Hände auf beide Ohren. Sie wollte auch die Augen schließen, um das schreckliche Bild nicht sehen zu müssen, doch es gelang ihr nicht.
    »Leb wohl!« Zar Nikolaus drückte ab.
    Der schwere Pferdeleib sackte leblos zusammen.
    Der Geruch des Schießpulvers mischte sich mit dem metallischen Geruch von Blut. Olly wurde es schwarz vor Augen, dann fiel sie in eine gnädige Ohnmacht.

4. KAPITEL
    W ar das ein Schuss?« Fragend schaute die Frau des Bootsmannes ihren Sohn an, doch der zuckte nur mit den Schultern.
    Seit ein paar Jahren wurden alle Angestellten von Zarskoje Selo informiert, wenn die Herrschaften auf Jagd gingen, damit nicht im Eifer des Jagdgefechts anstelle eines Rehs ein Mensch getroffen wurde – was in vergangenen Zeiten mehrmals vorgekommen war. Krampfhaft versuchte die Frau zu rekapitulieren, wo sich all ihre Kinder aufhielten: Die beiden ältesten halfen dem Vater im Bootshaus beim Aufräumen, Naschtinka melkte die Ziegen, Nastja war hinten mit

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