Die Zarentochter
wechselten einen scheuen Blick, dann schauten beide wieder weg.
Karl,der sich schon zuvor am Kuchen gütlich getan hatte, ließ sich ein weiteres Stück geben. Olly hingegen winkte das Serviermädchen davon. Wie konnte ihr Gast solch einen Appetit haben?, fragte sie sich. Sie war viel zu angespannt, um einen Bissen hinunterzubringen.
»Dampfschiffe! Zugegeben, noch hat England die Nase vorn, was diverse technische Errungenschaften angeht«, sagte Nikolaus, der wie Olly bisher eher stummer Zuhörer gewesen war. »Aber Russland ist dabei aufzuholen. Sagen Sie, lieber Prinz, was halten Sie von der Idee, dass …«
Olly lächelte. Ihr Vater schien von den Gästen ziemlich angetan. Von Anna hatte sie erfahren, dass er am frühen Morgen unter schlimmer Migräne gelitten hatte. Nun aber war seine Miene gelöst, seine Wangen waren leicht gerötet, er sprach dem Wein zu und schien sich wohl zu fühlen. Immer wieder schaute er beifallheischend zu Olly hinüber, als wollte er sagen: Hatte ich nicht recht? Ist der württembergische Prinz nicht ein sehr sympathischer Zeitgenosse?
Zu seinem Wesen konnte Olly zwar noch nicht viel sagen, aber er war zumindest rein äußerlich ein sehr attraktiver Mann. Sein Gesicht hatte feine, weiche Züge. Sein buschiger Schnurrbart sorgte jedoch dafür, dass die Miene nicht zu weiblich weich wirkte. Seine Augenfarbe konnte Olly nicht genau erkennen, vielleicht war es ein dunkles Braun? Seine Augen waren groß und hatten breite Brauen, sein Blick war interessiert und freundlich, keinesfalls arrogant oder affektiert. Auf seinem Kinn zeigte sich ein kleines Grübchen, das tiefer wurde, wenn er lachte. Seine Lippen waren voll und fast sinnlich geschwungen. Sie erinnerten Olly ein wenig an Alexanders Lippen.
Karls Statur war durchschnittlich. Er war nicht drahtig und muskulös wie Kosty, Sascha oder ihr Vater. Er war allerdings auch nicht so aufgedunsen wie sein Sekretär, dessen Jackett sich über einem unübersehbaren Wanst spannte.
Hackländer … Olly spürte, wie allmählich ein leiser Missmut in ihr aufstieg. Es war ja schön und gut, dass Karls Sekretär die ersten peinlichen Minuten des Zusammentreffens mit seinen Reden überbrückt hatte, aber musste er deswegen den ganzen Nachmittag lang dasWort führen? Fast hätte man meinen können, es ging darum, dass er sich bestmöglich präsentierte und nicht Prinz Karl.
Bisher hatte sich Olly als stumme Beobachterin ganz wohl gefühlt. Aber nun wandte sie sich mit einem aufmunternden Lächeln an den württembergischen Thronfolger.
»Sie erwähnten vorhin, dass Sie dem Theater zugetan seien. Darf ich fragen, wie Sie bei all den schönen Künsten ausgerechnet zum Theater gekommen sind?«
Karl zuckte in derselben Art zusammen, wie sie es zuvor getan hatte, auch er schien gar nicht mehr damit gerechnet zu haben, dass jemand ihn direkt ansprach. Olly schmunzelte.
»Nun, ich …«, fing er unsicher an.
»Ja? So erzählen Sie nur«, sagte sie und warf dem Sekretär einen etwas unwirschen Blick zu, woraufhin dieser tatsächlich schwieg.
Karl lächelte. »Interessanterweise habe ich meine Leidenschaft fürs Theaterspielen ausgerechnet Ihrem Onkel und seiner Familie zu verdanken«, sagte er. »In meiner Berliner Zeit verging kein Abend, an dem ich nicht zu einem interessanten Schauspiel eingeladen worden wäre. Die Art und Weise, wie Menschen auf der Bühne in eine andere Haut, ja, sogar in ein anderes Leben schlüpfen, wie sie Gefühle ausdrücken …« Er schüttelte fast andächtig den Kopf. »Faszinierend ist das!«
Die Zarin nickte erfreut. »Meine Familie liebt das Theater, vor allem mein Bruder Karl. Ach, Ihre Reden wecken sogleich mein Heimweh nach Berlin …«
Olly hörte interessiert zu, wie ihre Mutter und der Gast Bemerkungen über gemeinsame Berliner Freunde austauschten. Dass der Württemberger bei den Geschwistern ihrer Mutter sozusagen ein und aus ging, hatte sie bisher nicht gewusst. Scheinbar schätzte ihn Onkel Wilhelm ebenso wie ihr Onkel Karl, der dem namensverwandten Württemberger sogar seine Tochter Luise zur Frau gegeben hätte. Nun interessierte es sie noch mehr, warum es zwischen Karl und Luise nicht zur Heirat gekommen war.
»Der Prinz spielt übrigens auch selbst Theater, müssen Sie wissen. Durch ›Die Glocke‹, eine von mir gegründete Künstlervereinigung, kommter mit vielen Schauspielern in Kontakt. Da lag es nahe, es
auch einmal selbst zu versuchen, nicht wahr?«
Karl winkte ab. »Eine kleine Liebhaberei,
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