Die Zarentochter
sie flehentlich.
Alexandra schüttelte entnervt den Kopf. »Jetzt schau ihn dir doch wenigstens an, bevor du schon wieder alles schwarzmalst.«
Mit Annas Hilfe zog sich Olly an. Sorgfältig richtete sie ihre Frisur, gab ein wenig Rouge auf ihre blassen Wangen, legte Schmuck an.
»Ich bin bereit«, sagte sie schließlich mit gekünstelt fröhlichem Lächeln.
»Du brauchst nicht zu übertreiben«, sagte Anna kopfschüttelnd. »Es reicht, wenn du den Wünschen deiner Eltern entsprichst und den Herrn empfängst. Niemand verlangt von dir, Theater zu spielen.«
Ollys angestrengtes Lächeln erlosch, ihre Züge entspannten sich wieder. »Ach Anna, wenn ich dich nicht hätte.« Sie umarmte die alte Freundin stürmisch. »Verzeih mir meine Gemeinheiten von heute früh. Ich bin Gott so dankbar dafür, dass du bei mir bist. Ohne dich würde ich das alles doch gar nicht überstehen.«
»Als ob ich dich je allein lassen würde.« Anna gab Olly einen Kuss, dann befreite sie sich aus ihrer Umarmung. »Wie sagst du selbst immer so treffend: ›Lachen, um nicht zu weinen‹ – genau das werden wir beide jetzt tun!«
26. KAPITEL
U nd direkt an meine Studien in Berlin schloss sich im Frühjahr 1843 eine weitere Bildungsreise an, nach England.« Der württembergische Thronfolger lächelte versonnen. »Eine verrückte Zeit war das, ich –«
»Der Eifer unseres Prinzen war wirklich bemerkenswert!«, fuhr sein Sekretär dazwischen. »Es verging kein Tag, an dem wir nicht irgendwelche englischen Fabriken, Handelsunternehmen, Bergwerke oder Eisenbahnanlagen besichtigten. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so viel Kohlenstaub eingeatmet wie in diesen Wochen. Und ich bete zu Gott, dass ich es nie mehr tun muss.«
Die Tischrunde lachte.
Auch über Ollys Gesicht huschte ein Lächeln. Zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass es ihr gutging. Seit sie den Salon betreten hatte, hatte sie kein einziges Mal an die Schmach wegen Stephan gedacht. Außerdem war das Gespräch weniger anstrengend als befürchtet. Die ersten paar Minuten waren zwar ein wenig steif gewesen, aber das hatte sich dank Karls Sekretär und dessen eloquenter Erzählung einer früheren Italienreise schnell gelegt.
Prinz Karl war tatsächlich inkognito nach Italien gereist? Er hatte sich als »Graf von Teck« ausgegeben? Was für eine amüsante Scharade!, hatte das Zarenpaar gemeint.
Auch Olly hatte Karls Schilderung interessiert zugehört. Dass jemand freiwillig seine Privilegien aufgab, um die Welt mit anderen Augenzu sehen, gefiel ihr. Die meisten Menschen, die sie kannte, hielten sich für etwas Besonderes und erwarteten ständig, dass um ihre Person viel Aufhebens gemacht wurde. Der württembergische Prinz war da scheinbar anders.
Während ihre Mutter Wein nachschenken ließ, nahm sie ihre Gäste unauffällig weiter in Augenschein.
Prinz Karl war nicht allein erschienen, sondern hatte seinen Sekretär Friedrich Wilhelm Hackländer sowie seinen Reisemarschall, Freiherr von Spitzemberg mitgebracht. Während es sich bei Letzterem um einen charmanten älteren Herrn handelte, war Olly über die Jugend von Karls Sekretär erstaunt: Dieser Hackländer war höchstens drei, vier Jahre älter als Karl selbst, den Olly auf ihr Alter schätzte. Ein so junger Mann auf einem derart wichtigen Posten?
Dem Benehmen nach schien sich dieser Herr Hackländer jedoch wesentlich älter und reifer zu fühlen. Schon hob er zu einer neuen Geschichte aus der Zeit von Karls Englandreise an. Das Zarenpaar, Anna und die anderen Hofdamen lauschten interessiert. Olly hingegen hörte nur mit einem Ohr zu. Zugegeben, Hackländer war ein guter Erzähler, aber viel mehr hätten sie Karls eigene Eindrücke von Königin Viktoria und ihren Gemahl Albert interessiert. War seine Reise womöglich auch eine Art Brautschau gewesen, so wie Sascha sie einst hatte machen müssen? Dann war diese erfolglos geblieben, sonst säße Karl heute nicht hier, oder?
Olly verzog spöttisch den Mund – andere Menschen waren also auch wählerisch, nicht nur sie.
»Kennen Sie Irland, verehrte Großfürstin?«
Olly zuckte zusammen. Sie war so in ihre Gedanken vertieft gewesen, dass sie Karls Frage im ersten Moment nicht mitbekam.
»Leider nein. Aber man sagt, es sei wunderschön.« Sie lächelte ihn fragend an.
»Eine grüne Insel, in der Tat! In Irland verbrachten wir tatsächlich noch einige erholsame Tage, nicht wahr, Prinz?« Schon hob Hackländer zu einem weiteren Vortrag an.
Olly und Karl
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