Die Zarentochter
Und die guten Speisen, die anregenden Gespräche. Bestimmt würde er sich wünschen, dass wenigstens sie es sich gutgehen ließen.
»Dieses Goldbraun … als würde der Herbst nochmals innig vom Sommer geküsst«, sagte Ollys Onkel, Großfürst Michael, beim Anblick der beiden jungen Frauen.
»So poetisch kenne ich dich gar nicht«, sagte Tante Helene und bedachte ihren Mann mit einem schrägen Seitenblick. Aber auch sie geriet ins Schwärmen: Was für wunderbare Frisuren die beiden sich ausgedacht hatten!
Sowohl Olly als auch Maria hatten ihre Hochsteckfrisuren mit Ranken aus frischen Lilienblüten schmücken lassen, die sich bis über ihren Rücken ergossen. Während Ollys Blumen schon in voller Blüte gestanden hatten, als die Friseurin sie kundig einflocht, waren Marias Blüten bei ihrer Ankunft noch knospig verschlossen. Aber je weiter das Fest voranschritt, desto weiter öffneten sich auch die Blüten und verströmten bei jedem Schritt, den die Mädchen taten, ihren einzigartigen Duft.
»Wenn das Nikolaus und Alexandra sehen könnten«, sagte Tante Helene. »Oder wenigstens Anna Okulow – sie wäre so stolz auf ihren Schützling.«
»Zu Recht, Großfürstin Olly ist elegant und erwachsen geworden. So schön, wie sie ist, stiehlt sie dem Geburtstagskind fast ein wenig die Schau«, pflichtete die Obersthofmeisterin ihr bei. »Ein wenig ernst schauen die beiden allerdings drein …«
Helene runzelte die Stirn. »Dafür strahlt Mary über beide Wangen. Ihre Tracht wirkt dagegen ein wenig … schwerfällig, finden Sie nicht? Ach, man müsste noch einmal jung sein!«
Beide Damen seufzten so laut auf, dass sich Onkel Michael eiligst verzogund es an Prinz Galizin lag, die Laune der Damen mit Champagner und Kaviarhäppchen wieder zu heben.
»… und dann, wir waren ein paar Meilen geritten, springt eine Gams hinter einem Felsen hervor. Mein Valentino erschrickt und steigt, ich versuche, ihn zu bändigen. Er drängt zur Seite, stolpert, ich versuche, ihn vom Abgrund wegzuhalten, vergeblich. Wir stürzen unglücklich den Abhang hinab. Ich zerre mir den Arm und hole mir blaue Flecken, mein armer Valentino aber bricht sich beide Vorderbeine. Ich also die Flinte angesetzt und –«
Olly zuckte zusammen, sie wollte nicht hören, wie der Mann, der sehr zu ihrem Unmut nicht mehr von ihrer Seite wich, sein Lieblingspferd erschossen hatte. Er hatte sich als Max Prinz von Bayern vorgestellt und angefügt, er wäre ein guter Freund von Sascha. Warum erzählte er dann nicht ihm seine blutrünstige Geschichte, fragte sich Olly ärgerlich.
Der Bayernprinz runzelte die Stirn, als er ihre Miene sah. »Hätte ich das Tier etwa seinem Schicksal überlassen sollen?«
»Natürlich nicht«, entgegnete Olly heftig. »Aber vielleicht eignen sich solche schrecklichen Dramen nicht unbedingt als Gesprächsstoff für den heutigen Tag«, fügte sie mit erzwungener Freundlichkeit hinzu. »Oh, da kommt eine der Losverkäuferinnen. Habe ich schon erwähnt, dass die Erlöse einem guten Zweck gespendet werden?«
Pflichtschuldig kaufte Max von Bayern ein paar Lose, dann schlenderten sie zu einer der Buden, um ihre Gewinne abzuholen: ein Taschenmesser aus Tula für ihn und ein kunstvoll geflochtener Korb für Olly.
Ohne den schönen Handarbeiten auch nur einen zweiten Blick zu widmen, hob Max von Bayern aufs Neue an: »Meine Liebe, jetzt muss ich Ihnen aber unbedingt erzählen, wie ich auf jenem Ausritt über die Ruine Hohenschwangau gestolpert bin, im wortwörtlichen Sinne. Wäre das Drama um Valentino nicht gewesen, wäre ich doch nie zu Fuß diesen zugewachsenen Feldweg entlanggegangen. Inmitten meiner schönen bayerischen Berge fand ich ein zerfallenes Schloss,wie deutsche Dichter es in den schönsten Geschichten nicht besser hätten beschreiben können. Ganz famos war das …« Max von Bayern schien von seiner Erinnerung völlig ergriffen zu sein. Seine Augen glitzerten, als würden ihm im nächsten Moment die Tränen aufsteigen. Olly verzog den Mund. Was für ein Wichtigtuer!
Schon den ganzen Nachmittag über verwickelte er sie in Gespräche, in denen es einzig um seine Person, seine Besitztümer und sein schönes Bayernland ging. Detailliert sprach er nun über die Renovierungsarbeiten, die seiner Entdeckung folgten. Olly hatte das Gefühl, bald jeden Mauervorsprung, jede Balustrade und Deckenvertäfelung dieses Hohenschwangau zu kennen. Hilfesuchend schaute sie sich um. Warum errettete niemand sie von dem Langweiler?
Doch Mary war
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