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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Der Boden gibt nichts her, daran werden Abermillionen fleißiger Hände nichts ändern, auch wenn Vater das glauben mag. Bis er sich eines Besseren belehren lässt, sterben Jahr für Jahr Abertausende an Krankheiten, Hunger oder Seuchen. Das ist Wahnsinn!«
    Saschas Augen glänzten, und einen Moment lang befürchtete Olly, der ältere Bruder würde anfangen zu weinen.
    »Und wie diese Menschen hausen! Dieser unvorstellbare Dreck in ihren Hütten, der Gestank ihrer Feuer, die so qualmen, dass man die Hand nicht vor den Augen sehen kann. Ich habe noch nie so viele Blinde gesehen wie dort, selbst kleine Kinder torkeln blind durch die Gegend. Weißt du, wie hoch die Kindersterblichkeit in den Sumpf-gebieten ist? Von fünf Kindern sterben vier, hat man mir gesagt.«
    Kinder, die blind durch die Gegend torkeln? Olgas Herz drohte überzulaufen vor Mitleid. Ich helfe dir! , hätte sie am liebsten geschrien. Und: Lass uns heute noch aufbrechen. Und Iwan soll auch mitkommen. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass in ihrem Bruder dasselbeFeuer brannte wie in ihr, dass auch er verzweifelte an dem Wunsch, helfen zu wollen und es nicht zu können.
    Trotzdem zwang sie sich zur Ruhe und sagte nur: »Aber Sascha, das ist ja schrecklich. Dagegen muss man etwas tun, du musst unbedingt Vater davon erzählen, er weiß bestimmt Rat und Abhilfe –«
    »Vater will von alldem nichts hören. Ich frage mich allmählich, wozu er mich überhaupt durchs Land schickt. Meine Berichte und meine Einschätzung von dieser Lage oder jener will er jedenfalls nicht hören. Als ich ihn in Teplitz besucht habe, wollte ich ihm erzählen, unter welchen Bedingungen die Arbeiter der Silberminen von Tula hausen müssen. Richtiggehend böse ist er geworden! Er habe mir nicht aufgetragen, mir die Behausungen der Leute anzuschauen, und was mir einfalle, die von ihm aufgestellten Reisepläne eigenmächtig zu ändern. Ich frage mich, was so schlimm daran ist, dass ich den Kutscher ab und zu anweise, von der geplanten Route abzuweichen? Warum will Vater nicht, dass ich mitbekomme, wie es im Landesinnern aussieht?«
    Unangenehm berührt rutschte Olly auf der Bank ein Stück zur Seite. »Du redest gerade so, als müsstest du durch Potemkinsche Dörfer fahren! Dabei sind diese Zeiten doch gewiss vorbei«, sagte sie naserümpfend. Plötzlich empfand sie den muffig-süßen Geruch, der von den vor ihren Füßen liegenden Ananasfrüchten aufstieg, als unangenehm, fast ekelig. Hoffentlich kam bald jemand und holte die Früchte ab.
    »Bist du dir da so sicher?«, fragte Sascha. »Hast du in der Württemberger Kolonie in die Häuser geschaut? Hast du mit eigenen Augen gesehen, wie sie leben? Oder hast du dich mit dem zufriedengegeben, was die Leute anlässlich eures Besuches für euch vorbereitet haben? Ein paar Fahnenschwenker, sauber geschrubbte Kinder, die Gedichte aufsagen und euch Blumen überreichen …«
    Olga runzelte die Stirn. »Nicht jeder schätzt unangemeldete Besuche in seinem Zuhause«, sagte sie lahm. In Wahrheit hatte sie schon daran gedacht, sich in dem Dorf der Württemberger ein wenig näher umzuschauen. Aber als dann Mary und Adini auf einen eiligen Aufbruch drängten …
    »Dasiehst du’s, euch reicht der schöne Schein. Und genauso wird Marys Fest heute auch ausfallen: Ein paar bunte Trachten und Gesänge, und schon glaubt ein jeder, er habe das wahre Russland vor sich«, sagte er höhnisch. »Aber weißt du, was sich all die Trachtenträger und Sänger zuraunen werden, wenn sie wieder in ihren elenden Hütten sind? Sie wollten nur einmal so leben wie ein russischer Großfürst. Für sie ist das gleichbedeutend mit dem Himmel auf Erden.«
    Olly war entsetzt. »Wenn das Vater hören würde! Sein ganzes Leben hat er nichts anderes als das Wohl der Russen im Sinn. Und dann sind die Menschen so undankbar? Das glaube ich nicht.«
    »Ach Olly, manchmal bist du wirklich sehr naiv«, entgegnete Sascha. »Wenn du mir nicht glaubst, erkundige dich beim Volk. Vielleicht solltest du nicht immer nur die vor Gefühlen triefenden Gedichte unseres lieben Wassili Shukowski lesen, sondern dir auch einmal andere Schriftsteller zu Gemüte führen. Es gibt da einen jungen Kerl, er heißt Iwan Turgenjew. Er ist so alt wie ich und studiert derzeit in Berlin, was der –«
    »Wahrscheinlich einer dieser westlichen Aufwiegler, die Vater das Leben so schwermachen«, unterbrach Olly ihn. »Sag bloß, du liest so einen Schund?«
    »Woher willst du wissen, was Schund ist? Diese

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