Die Zarentochter
ihrer Eltern gewiss eine noch viel schlechtere Partie als Iwan, von daher würden sie sicher alles tun, um ihn von ihr fernzuhalten.
Jetzt siehst du schon Gespenster, rügte sie sich. Als ob hinter jeder Ecke böse Mächte lauern! Vielleicht ist Iwans Versetzung nur eine harmlose militärische Entscheidung, mehr nicht. Sie versuchte, die unguten Gedanken abzuschütteln.
»Jedenfalls möchte ich mir nicht vorstellen, wie Vater reagiert, wenn ihm jemand zuträgt, dass Max Leuchtenberg bei diesem Fest war. Das gibt Ärger, und Mary tut mir jetzt schon leid.«
»Wie ich deine Schwester kenne, denkt sie sich nichts dabei und ist nachher ganz entsetzt, wenn sie hört, was man ihr zur Last legt.
Wahrscheinlichist das nur eine kleine Schwärmerei, mehr nicht«, sagte Maria.
Olly war sich da nicht so sicher. Ihr Eindruck war ein gänzlich anderer.
Gegen Abend zog vom Meer her ein frischer Wind auf und blies einige der in den Blumenbeeten und an den Wegesrändern aufgestellten Fackeln aus. Vor allem die älteren Gäste wanderten fröstelnd in den Ballsaal und den angrenzenden Tschesme-Saal, vor dessen riesigen Ölgemälden Mary ebenfalls Tische und Stühle hatte aufstellen lassen. Tee aus mehreren silbernen Samowaren sorgte dafür, dass es den Gästen schnell wieder warm wurde.
Draußen im Park und auf der Schlossterrasse blieb die Jugend zurück. Was bedeutete schon ein bisschen Frösteln, wenn man dafür den gestrengen Blicken der Älteren entkommen konnte? Kleine Grüppchen wanderten über die Kieswege, manch ein Paar versuchte, sich abzusetzen, um in einer der Lauben ein paar ungestörte Momente zu verleben. Die Losverkäuferinnen machten nun gute Geschäfte, besonders viel Gelächter gab es, wenn eine von Marys Freundinnen eine Pfeife gewann und einer von Saschas Offizierskameraden ein Schmuckstück aus Tula.
Mary hatte ein paar der kleineren Tische in der Nähe der Terrassenmauer zusammenrücken lassen, wo es windgeschützt war und die Mauer außerdem noch ein wenig der gespeicherten Sonnenwärme abgab. An dieser improvisierten Tafel, die von Dutzenden von Kerzen beleuchtet wurde, hielt Mary nun Hof, an ihrer Seite Prinz Max von Leuchtenberg oder »Max Beau«, wie Olly ihn im Stillen nannte.
Olly fühlte sich mit ihrem Glas Champagner in der Hand sehr erwachsen. Vor ein, zwei Jahren noch hätte man sie wie Adini zu dieser Zeit ins Bett geschickt, nun saß sie mit Blumen im Haar und einem Kleid, das im Licht der Kerzen wie geschmolzenes Gold glänzte, hier bei den Erwachsenen. Ach, wenn nur Iwan bei ihr wäre …
Sobald sie Zeit hatte, würde sie sich darüber informieren, was sich im Kaukasus zutrug. Vielleicht war alles gar nicht so schlimm? Ein paarkleine Unruhen, die es niederzuschlagen galt, und Iwan konnte zurückkommen, als verdienter General ihres Vaters.
Die Mitglieder einer Tanzgruppe bauten sich vor ihrem Tisch auf, ausstaffiert mit bunten bäuerlichen Kostümen. Eine der Frauen überreichte Mary einen Korb mit Äpfeln, Brot, Salz und Honig, wofür diese sich überschwänglich bedankte.
Oje, war dies nicht genau die Art von Auftritten, über die Sascha heute Vormittag gelästert hatte? Aus dem Augenwinkel versuchte Olly die Reaktion des Bruders auf dieses Spektakel zu erkennen, doch er war so ins Gespräch mit Olga Kalinowski vertieft, einer Hofdame ihrer Mutter, dass er den Aufmarsch der Tänzer gar nicht zu bemerken schien.
Es waren Tataren aus Kasan, die nun zum Spiel zweier Geigen zu tanzen begannen. An den Fußknöcheln der Frauen klirrten kleine Glöckchen, an ihren Handgelenken waren geflochtene bunte Bänder festgebunden, die bei jeder Bewegung im Licht der Kerzen immer wieder anders schimmerten.
Diese Freiheit der Bewegungen! Fast konnte man die Steppenlandschaften, aus denen die Männer und Frauen stammten, erahnen. Wie alle anderen klatschte Olly begeistert im Takt der Musik mit, bis alles mit einem letzten Crescendo ausklang.
»Bei uns in Bayern wird der Volkstanz auch großgeschrieben, allerdings geht’s bei uns etwas … kultivierter zu, wenn ich das anmerken darf«, sagte Max von Bayern mit alkoholschwerer Zunge.
Olly funkelte ihn an. Weg war der verzauberte Moment.
Mary verteilte Münzen an die Männer und Frauen. Anschließend wandte sie sich ihren Gästen zu, beide Hände an die Brust gelegt. »Versteht ihr nun, dass ich nie – niemals – mein geliebtes Russland verlassen könnte? Man würde mir mein Herz herausreißen!«, rief sie theatralisch.
Max von Bayern schaute Mary
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