Die Zarentochter
drei Frauen schauten Iwan mit angstgeweiteten Augen an.
»Ja, Mutter, ja«, sagte Iwan und straffte seine Schultern. Danach sagte niemand mehr etwas.
*
»Daseid ihr ja endlich. Willkommen in Peterhof!« Olly flatterte so aufgeregt in ihrem golden glänzenden Kleid um die Kutsche der Bariatinskis herum, dass der Fahrer Mühe hatte, die erschreckten Pferde zum Stehen zu bringen. Unter dem Schutz seiner Schirm-kappe warf er ihr einen unfreundlichen Blick zu.
»Hattet ihr eine gute Fahrt? Bist du mit den Lilien zurechtgekommen?« Noch bevor der Kutscher helfen konnte, riss sie den Verschlag des Fahrzeugs auf.
»Olly, Liebste …« Hoheitsvoll stieg Maria Bariatinski aus, die großen Lilienblüten wippten bei jeder Bewegung in ihrem Haar.
»Wunderschön siehst du aus. Ach, wie ich dich um dein prachtvolles Haar beneide! Wenn ich dich sehe, könnte ich mir jede einzelne Fluse auf meinem Kopf ausrupfen«, sagte Olly lachend, doch das Lachen erstarb, als sie die geröteten Augen der Freundin sah.
»Maria, was ist los? Hast du geweint? Und wo ist Iwan? Er reitet doch nicht etwa hierher?« Fragend schaute sie in die Richtung, aus der die Kutsche gekommen war.
»Olly, mein Bruder ist …« Die junge Prinzessin verlor ihre Haltung, und nur im letzten Moment gelang es Olly und dem Kutscher, sie zu stützen. Gemeinsam führten sie Maria zu der Sitzgruppe, die von den Fahrern während ihrer Wartezeiten genutzt wurden. Olly scheuchte die Männer weg. Unter Tränen erzählte Maria, was sich zugetragen hatte.
»Hat Sascha dir nichts davon gesagt? Oder dein Vater?«, schluchzte sie, als sie zum Schluss gekommen war.
»Vater ist doch in Teplitz, schon den ganzen Sommer über«, sagte Olly geistesabwesend. »Und Sascha? Nein.«
Iwan war weg. Weit weg. Auf dem Weg in den Kaukasus. Heute ab gereist.
Wie vom Schlag getroffen, versuchte sie, die Nachricht zu ver stehen. Kein Wiedersehen? Keine innigen Momente? Kein … gar nichts?
»Das kommt so plötzlich! Steht denn wenigstens schon fest, wann er zurückkommen soll?« Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie schluckte, bis sie den Kloß in ihrem Hals hinuntergewürgt hatte.
Wennsie jetzt anfing zu heulen, würde sie nicht mehr aufhören können.
Maria schüttelte den Kopf. »Ich dachte, du wüsstest mehr. In dem Schreiben stand nur, er solle –«
»Prinzessin Bariatinski! Und mein Schwesterherz. Was um alles in der Welt tut ihr hier?« Mit in die Hüfte gestemmten Händen schaute Mary auf die beiden Freundinnen herab. »Adini und ich suchen euch schon überall. Ist die Aussicht auf mein Fest so schrecklich, dass sie euch in Tränen versetzt?« In Marys humorigem Ton war eine Spur von Ärger nicht zu überhören. »Die Gäste warten auf dich, Olly. Seit Onkel Michael einen Blick auf deine Frisur erhaschen konnte, erzählt er allen Leuten davon, fast könnte man meinen, du wärst heute die Jubilarin.«
»Mary, stell dir vor …« Krampfhaft blinzelte Olly ihre Tränen fort. »Marias Bruder hat einen Versetzungsbefehl bekommen, er muss in den Kaukasus.«
»Und wird dort Oberbefehlshaber der russischen Truppen. Eine große Ehre für ihn! Und deshalb schaut ihr drein wie sieben Tage Regenwetter? Wollt ihr mir etwa mein Fest verderben? Maria, Olly, reißt euch zusammen, alle beide.«
Mit gesenkten Köpfen folgten die beiden jungen Frauen dem Geburtstagskind, als würden sie zur Schlachtbank geführt.
Die Mehrzahl der über dreihundert Gäste war sich einig: Von all den hübschen Anblicken auf Marys Fest – und von denen gab es reichlich – waren die Großfürstin Olga Nikolajewna und ihre Freundin, Prinzessin Maria Bariatinski, der schönste.
In ihren identischen golden glänzenden Kleidern mit den enganliegenden Oberteilen und den weitschwingenden Ärmeln hätte man die Freundinnen fast für Zwillinge halten können. Wo immer die beiden erschienen – ob am Champagnerausschank oder am Kuchen-und Tortenbuffet, ob auf der großen Sonnenterrasse oder entlang der vielen Wasserspiele –, waren sie von einer Schar Gäste umringt, die sich mit ihnen unterhalten oder einfach nur in ihrer Nähe sein wollten.
Nochwährend sie hinter Mary hertrotteten, hatten die Freundinnen sich an der Hand genommen und beschlossen, den schlechten Nachrichten zum Trotz das Fest so gut wie möglich hinter sich zu bringen. Genau das waren sie Iwan schuldig. Iwan, der seit Stunden im Sattel auf einer staubigen Straße gen Moskau unterwegs war. Wie sehr hätte er die eisgekühlten Getränke genossen.
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