Die Zarentochter
Ems eintreffen sollen, um dort die Familie von Saschas zukünftiger Gattin zu treffen, nun war es Sommer geworden.
Wiees der hessische Großherzog wohl aufnahm, dass dieses erste Kennenlernen immer wieder verschoben wurde, fragte sich Anna, während Nikolaus zu einer weiteren Umarmung ansetzte. Da saßen Cerise und ihr Vater allein in Bad Ems, was nicht der erste Affront war, den man den Hessen zumutete. Zuerst hatte Saschas langwierige »Krankheit« die Reise verzögert. Dann hatte die Nachricht vom nahenden Tod des preußischen Königs die Reisepläne über den Haufen geworfen, und zu guter Letzt hatte Nikolaus auch noch spontan beschlossen, einen Abstecher zu seiner Schwester in Weimar zu machen, damit sich Alexandra dort von ihrer Trauer erholen konnte.
Dass Cerise dadurch länger warten musste, interessierte niemanden – die Wünsche des Zarenpaares gingen nun einmal vor. Der einzige Vorteil der zeitlichen Verzögerung war der, dass es nun zu Ollys großer Freude auch Erzherzog Stephan möglich war, zu ihnen zu stoßen.
Im nächsten Moment kam Olly übers ganze Gesicht strahlend aus dem Palais. Was für eine schöne junge Frau, durchfuhr es Anna mit fast mütterlichem Stolz. Wenn da nur nicht der Jammer mit Ollys Haaren wäre …
Während ihrer Gehirnentzündung im vergangenen Winter hatten die Ärzte keine andere Möglichkeit gesehen, als ihre prachtvollen langen Haare abzuschneiden. Die kleinste Berührung am Kopf hatte Olly vor Schmerz aufheulen lassen, die Haare zu kämmen oder gar zu waschen war unmöglich gewesen. Olly selbst hatte um eine Kahlschur regelrecht gebettelt. Seitdem war es vorbei mit den zweihundert Bürstenstrichen am Abend, die kurzen Locken waren schnell gekämmt.
Zum Glück machte Olly selbst am wenigsten Aufhebens wegen ihres Schopfes – und das trotz des bevorstehenden Treffens mit dem Österreicher. »Wenn Stephan mich mit dieser Frisur nicht mag, mag er mich gar nicht«, hatte sie erst am Morgen gesagt, als die Zofen die Kämme und Bürsten verpackten.
Haare hin oder her, Olly wurde immer schöner, befand Anna. Die rosigen Wangen, der strahlende Blick … Spontan umarmte sie ihren Zögling. »Du strahlst so – hat das einen Grund?«
»Undob. Stell dir vor, ich habe ein Bild von Stephan gesehen, oben im Salon!«, erwiderte Olly atemlos. »Es ist zwar an den Ecken verkohlt und auf der linken Seite voller Ruß – irgendjemand scheint sehr unachtsam damit umgegangen zu sein. Viel sieht man nicht, aber, Anna, ich glaube, Erzherzog Stephan sieht einfach grandios aus. Diesmal hatte Mary ausnahmsweise recht: Der Mann hat wirklich eine beseelte Ausstrahlung!«
Als sich die drei Kutschen ihrer Reisegesellschaft kurze Zeit später tatsächlich in Bewegung setzten, konnte Anna es kaum glauben. Endlich!
»Gott sei Dank«, sagte auch Olly. »Sosehr ich meine Tanten, Onkel und Cousinen mag, jetzt reicht’s mit den Verwandtschaftsbesuchen. Auf nach Bad Ems!«
»Es ist aber nicht das berühmte Emser Kränchen, nach dem du dich so sehnst, oder?«, neckte Anna sie.
Olly verzog das Gesicht. »Salziges Heilwasser – das können sich die Eltern schmecken lassen. Mich dürstet es nach etwas anderem …« Sie seufzte tief auf. »Ob Sascha wohl schon ein Treffen zwischen Stephan und mir arrangiert hat? Jetzt, da ich ihn auf diesem Bild gesehen habe, kann ich es erst recht kaum erwarten, ihm zu begegnen.«
»Das glaube ich dir gern, aber du darfst nicht zu euphorisch sein, was die Aktivitäten deines Bruders in dieser Hinsicht angeht. Er hatte in letzter Zeit genügend andere Dinge um die Ohren …«
»Du hast recht«, murmelte Olly und schaute aus dem Fenster. »Aber mit Cerise ist wieder alles in Ordnung, und sie haben sogar schon ihre Verlobung gefeiert. Da sollte sich Sascha ruhig ein wenig um meine Belange kümmern. Findest du nicht, dass er mir das schuldig ist?«
Anna zuckte mit den Schultern. Sie würde sich hüten und etwas gegen den Zarewitsch sagen.
Eine Zeitlang hingen beide Frauen ihren Gedanken nach, während die sattgrüne Landschaft an ihnen vorbeizog.
Der Zarewitsch verlobt … Nach tausend Gesprächen, Debatten und Aussprachen, die sein Vater, Shukowski und vor allem Olly im Laufeder Monate mit ihm geführt hatten, hatte Sascha endlich seinen Schmollwinkel verlassen. Seine Verliebtheit wäre töricht ge wesen, er wisse selbst nicht, was in ihn gefahren sei, hatte er Olly gegenüber gesagt. Und dass er nun alles richtig machen wolle.
Anna hatte die ganze Zeit darauf
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