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Die Zarentochter

Die Zarentochter

Titel: Die Zarentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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übertraf mit ihrer Schlagfertigkeit die meisten in ihrem Kreis. Bestimmt würden sie gute Freundinnen werden.
    Großherzog Ludwigs ehrgeiziges Vergnügungsprogramm hatte einen weiteren Vorteil: Die Erwachsenen waren derart beschäftigt, dass sie darüber die Jugend fast vergaßen. Und so genossen Sascha, Cerise, ihr Bruder Alexander und Olly die größtmögliche Freiheit. Zu viert unternahmen sie täglich Ausflüge, besuchten ein Pferderennen, machten eine Schiffsfahrt auf der Lahn – wobei Ollys Sonnenschirm über Bord ging –, wanderten oder spazierten einfach in den weitläufigen Kuranlagen umher und fütterten die Schwäne.
    »Schauen Sie, auf dem Hof da hinten durfte ich mir als kleiner Junge bei der Bäuerin stets ein Glas Milch und ein Stück Schwarzbrot abholen. Sie war so stolz, dass der Sohn des Großherzogs sie be suchenkam!« Alexander lachte. »Und ich war als Kind immer sehr hungrig, also haben wir uns bestens ergänzt.«
    Olly stimmte in sein Lachen ein. »Bei fremden Leuten einzukehren, das hätte man uns Kindern nie erlaubt.« Unwillkürlich musste sie an ihren Besuch im Haus des Bootsmannes denken.
    »Ach, das sind doch alles unsere Leute, mein Vater wusste stets, dass wir Kinder bei ihnen gut aufgehoben sind.« Alexander winkte ab. Er zeigte auf eine kleine sonnenbeschienene Lichtung in dem Wald, durch den sie gerade spazierten. »Dort drüben habe ich mit meinem Bruder Karl oft Pilze gesammelt, Anfang September wachsen hier überall herrliche Steinpilze. Die haben wir gleich über einem Lagerfeuer gebraten. Manchmal waren wir so vertieft, dass es dar über dämmerte. Dann ist uns mulmig geworden, hinter jedem Stamm haben wir böse Räuber vermutet.«
    »Pilze sammeln, das liebten wir als Kinder auch, allerdings wurden uns solche Vergnügungen nur selten erlaubt.« Olly warf ihrem Begleiter einen entzückten Blick zu. »Ich glaube, ich bin noch nie einem so naturverbundenen Menschen wie Ihnen begegnet! Sie kennen wirklich jeden Stein und jede Pflanze, nicht wahr?«
    »Oje, ich langweile Sie. Wir können auch zurückgehen und im Kurgarten einem Konzert lauschen. Aber davon wären die beiden sicher nicht begeistert.« Lächelnd wies er auf Sascha und Cerise, die sich wie so oft ein wenig abgesondert hatten.
    »Sie langweilen mich nicht, ich könnte Ihnen stundenlang zuhören«, sagte Olly hastig. Um nichts in der Welt wollte sie zurück in den Kurgarten mit seinen exakt angelegten, akkuraten Rosenbeeten. Hier im Wald war es viel schöner. Es duftete nach Erde und Bäumen, nach Baumrinde und Harz, nach Freiheit und etwas anderem, für das sie noch keinen Namen fand. Fast schüchtern schaute sie zu Alexander hinüber.
    »Ich beneide Sie. Die vielen Tiere, mit denen Sie aufgewachsen sind – Hunde, Ponys, der verwaiste Rabe, den Sie von Hand aufgezogen haben, das hätte ich auch gern erlebt. Als Kinder mussten wir von morgens bis abends studieren. Manchmal brummte uns regelrecht der Kopf vom vielen Lesen und Auswendiglernen.«
    »Nunja, ein bisschen hat uns Hauptmann Frey, so heißt mein Erzieher, auch beigebracht.« Alexander brach einen Zweig ab und reichte ihn ihr. »Solche Eicheln haben wir früher ausgehöhlt und dann mit Ästen durchbohrt, so dass wir richtige kleine Pfeifen be kamen. Darin haben wir den Tabak geraucht, den wir Vater entwendeten.« Er lachte. »Meine Güte, war mir davon übel. Aber all das hier …« – er machte eine weit ausholende Geste, mit der er den duftenden Wald einschloss – »war mir tausendmal lieber als all die Tanz-, Musik- und Klavierstunden, die Sie ertragen mussten. Und dazu noch Benimmunterricht, Mal- und Zeichenkurse? Sie müssen ja ein wahres Genie sein«, sagte er stirnrunzelnd. »Eigentlich sollte mir in Ihrer Gegenwart vor lauter Ehrfurcht ganz schwindlig werden.«
    Olly lachte auf. »Und tut es das?«
    Er legte den Kopf schräg und musterte sie so eindringlich, dass Olly ganz verlegen wurde.
    »Nun ja, Sie sehen mit Ihren kurzen Haaren nicht gerade ehrfurchteinflößend aus …«
    Es waren solche Bemerkungen, die Olly derart amüsierten, dass ihr abends vor lauter Lachen der Bauch weh tat. Noch nie hatte sie mit einem Mann so viel Spaß gehabt.
    Andererseits war mit Alexander auch das Schweigen angenehm. Wenn er ihr auf einem Hochsitz einen Vierzehnender zeigte und sie beide dabei kaum zu atmen wagten. Wenn sie einem Vogelpaar beim Nestbau zuschauten – die beiden würden dieses Jahr schon zum zweiten Mal Eltern!, flüsterte er ihr zu, während er den

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