Die Zarin der Nacht
Gutes abgewinnen: Es sei so angenehm, sagte er, frühmorgens durch die Stadt zu fahren, bevor all die geschäftigen Leute die StraÃen verstopfen.
Sie kennen einander schon lange, sind alte Weggefährten. Solche Leute gibt es nicht mehr viele. Der Teufel hat gründlich Ãhrenlese gehalten. Manchmal werden Menschen aus gerechter Empörung zu Deserteuren. Andere Freundschaften gehen aus ganz albernen Gründen auseinander. Einer wirft dem anderen, der sich keiner Schuld bewusst ist, Verrat vor.
Pani jagt ihrem eigenen Schwanz hinterher. Sie knurrt, schnappt, dreht sich schneller und schneller im Kreis. Was geht in solchen Momenten im Kopf eines Hundes vor? Ist es eine Ãbung für die Jagd? Oder ist es schierer Ãberschwang, animalische Lebensenergie, die Pani antreibt, sich zu verausgaben, bis endlich die Erschöpfung siegt?
Das Wort Pani ist polnisch und bedeutet Madame. Sie erfand den Namen, um heimlich Rache an einem Gast zu nehmen, der ihr schrecklich auf die Nerven ging. Es war eigentlich mehr ein boshafter SpaÃ. In jedem Wurf gibt es Hündchen wie Pani. Eines, das ständig um Zuneigung wirbt, das auf den Arm genommen und gehätschelt werden will, das mit seiner winzigen Zunge eifrig alles leckt, was in seine Nähe kommt. Und die polnische Prinzessin, die sich zu der Zeit, als Pani ein kleiner Welpe war, zu einem Besuch im Winterpalast aufhielt, benahm sich ganz ähnlich. Unterwürfig, immer hungrig nach Aufmerksamkeit, immer schwanzwedelnd bemüht, sich bemerkbar zu machen. Was für ein Vergnügen, den Welpen in Gegenwart die
ser Frau zurechtzuweisen. »Bitte, Pani, ein bisschen Zurückhaltung! Du musst dich nicht gleich nassmachen vor lauter Entzücken, Pani, bei meinem Anblick.« Nicht dass die Person, die eigentlich gemeint war, den Wink jemals verstanden hätte.
»Es reicht, Pani. Mach Platz.«
Pani erstarrt mitten in der hektischen Bewegung und wirft ihrer Herrin einen erstaunten Blick zu. Als ob sie einen Moment lang tatsächlich im Zweifel wäre, was von ihr erwartet wird. Aber Hunde beherrschen wie kaum ein anderes Wesen die Kunst, zu gefallen. Ihr Schwanz senkt sich fügsam, und sie trottet brav zu ihrem gewohnten Ruheplatz. Direkt neben den FüÃen ihrer Herrin.
Am Hof ist die herrschende Lehrmeinung die, dass Hunde treu und Katzen falsch und tückisch seien. Katzen stöhnen und kreischen nachts auf dem Dach oder, noch schlimmer, schreien wie ausgesetzte Babys. Oder wie brünstige Hexen. Die Dienstmädchen vom Land haben von Hexen erzählen hören, die in Katzengestalt umherschleichen und an den Eutern der Kühe saugen oder Kinder in der Wiege ersticken.
In so dumpfer Beschränktheit verharren die Unwissenden, zu denen das Licht der Vernunft nie gedrungen ist.
Sie nippt von ihrem Kaffee. Jetzt, am Morgen, trinkt sie ihn schwarz, erst später wird sie sich etwas Sahne dazu gönnen. Sie bemerkt ein Gefühl von Angespanntheit in der Brust. Es dauert einen Moment, bis sie erkennt, was es ist: Zärtliche, freudige Rührung hat sie ergriffen. Bald wird ihre erste Enkelin heiraten.
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Aus dem Vorzimmer sind die Stimmen ihrer Hofdamen zu hören. Anjetschka und Wischka reden über Le Noiraud.
»Alexander der GroÃe hatte immer die Ilias unter seinem Kopfkissen liegen.«
»Nicht jeder ist Alexander der GroÃe. Davon können wir ausgehen, denke ich.«
»Wir wollen zu viel auf einmal. Wir übernehmen uns.«
»Nur wenige Männer haben das Zeug, zu einer wirklich bedeutenden Persönlichkeit zu werden. Das wissen wir doch beide.«
Was sie da hört, überrascht sie nicht: Eifersüchteleien in ihrer engeren Umgebung sind etwas ganz Normales. Wenn Wischka und Anjetschka über den kaiserlichen Favoriten herziehen, sind sie ausnahmsweise ein Herz und eine Seele. Dass Wischka ihm nicht grün ist, versteht sich von selbst â sie traut niemandem . Anjetschka dagegen stand Platon Subow anfangs durchaus wohlwollend gegenüber und hat ihre Abneigung erst in neuerer Zeit entwickelt. Le Noirauds Sünden, die sie am meisten empören, sind diese:
Er hält ein Lever wie ein König von Frankreich. Die Glücklichen, die zu ihm vorgelassen werden, dürfen schweigend dabei zusehen, wie er sich ankleiden und frisieren lässt, während alle jene, die den Lakaien nicht genügend Schmiergeld zugesteckt haben, drauÃen warten müssen. Er bringt endlos viel Zeit
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