Die Zarin der Nacht
Helden. Sie ist eine Medusa, ein Vampir, ein Drache. Eine hässliche Hexe, die es mit dem Teufel treibt.
Gegen Verleumdung helfen keine Argumente. Sie breitet sich aus wie Ungeziefer. Sie huscht in allen dunklen Winkeln umher und hinterlässt überall ihren Dreck. Unter den Kleidern von Reisenden versteckt oder zwischen Seiten von Büchern oder in doppelten Böden von Koffern, kommt sie ins Land und vergiftet die Herzen.
Ihre Feinde und Neider können es nicht ertragen, dass das aufstrebende Russland, dem sie früher kaum Beachtung schenkten, nun zu einer Macht geworden ist, mit der man rechnen, ja, die man fürchten muss. Katharina soll vergessen, dass Nationen wie Kaufleute sind und nach MaÃgabe von Kosten-Nutzen-Rechnungen Bündnisse eingehen und brechen.
Dass Reiche wachsen müssen oder sterben.
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Sie steht auf. Ihr rechter Fuà ist geschwollen und schwer.
Pani, ihr italienischer Windhund, ist längst wach und bereit zum Dienst. Ihre kühle, feuchte Nase schnuppert die Dünste der Nacht, untersucht sie auf ihre Bedeutung.
»Braves Mädchen, Pani«, murmelt die Kaiserin und streichelt den Kopf des Hundes.
Die Zofen haben die Kleidung für den Morgen bereitgelegt. Sie ist schlicht: ein weit geschnittenes Satinkleid, eine Haube aus Crêpe, mit Bärenfell gefütterte Pantoffel. Später werden Anjetschka und die Zofen mehr Zeit haben, sich um ihre Toilette zu kümmern. Es ist zu hoffen, dass sie dann vorsichtiger sind als gestern: An der Stelle ihres Hinterkopfs, wo sie ihrer Haut mit der Brennschere zu nahe gekommen sind, spürt sie immer noch ein unangenehmes Kribbeln.
Das Arbeitszimmer liegt gleich nebenan. Ein Stapel mit Aktendeckeln, die mit Seidenbändchen zugebunden sind, erwartet sie dort, daneben steht ein Kännchen Kaffee auf einem Silbertablett. Sie geht langsam hinüber, immer vorsichtig darauf bedacht, das schmerzende Bein möglichst wenig zu belasten. Pani begleitet sie.
Der Sommer war drückend schwül. Die Blätter der Rosensträucher in Zarskoje Selo bekamen schwarze Flecken. Die Gärtner besprühten sie täglich mit einem Sud aus Kompost, aber es half nicht. Die Krankheit breitete sich von einem Beet zum nächsten aus, überall verwelkten die Blätter und fielen ab. Hier in Sankt Petersburg verkümmern die jungen Birken im
Sommergarten. Die Wurzeln, sagen die Gärtner, schlingen sich um den Stamm und behindern den Saftfluss; sie erdrosseln gewissermaÃen den Baum.
Aber der Sommer ist vorbei, und man soll sich nicht von vergangenen Dingen aufhalten lassen. Wenn man ein Reich zu regieren hat, muss man nach vorn schauen.
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Unter den Papieren auf ihrem Schreibtisch ist auch wieder ein Blatt von Alexandrine. Sie hat ihrer ältesten Enkelin regelmäÃige Schreibübungen verordnet, damit sich ihre Handschrift verbessert. Diese wirkt mehr wie die eines schlampigen Schulbuben als wie die einer russischen GroÃfürstin, die bald heiraten wird.
Das, was sie heute abgeliefert hat, lässt durchaus Fortschritte erkennen. Die Buchstaben sind immer noch zu klein und haben zu wenig Schwung, aber immerhin stehen sie schön gerade auf einer Linie:
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Es fiel schon Asche, wenn auch noch nicht sehr dicht. Ich sah mich um. Eine schwarze Wolke kam hinter uns über den Himmel und breitete sich aus wie eine Flutwelle. »Lass uns von der LandstraÃe abbiegen, solange wir noch etwas sehen können«, sagte ich, »sonst werden wir im Dunkeln von der Menge hinter uns niedergetrampelt.« Wir hatten uns kaum hingesetzt, um zu rasten, da wurde es dunkel â nicht wie in einer mondlosen oder wolkenverhangenen Nacht, sondern als hätte jemand in einem Kellerraum die Lampe gelöscht.
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Sie schreibt ein paar Randbemerkungen für Miss Williams, die Gouvernante. Bei der Auswahl der Ãbungstexte wünscht sie sich etwas mehr Fingerspitzengefühl. Wieso soll man das Kind einen Ausschnitt aus Der Untergang von Pompeji abschreiben lassen, wenn doch ein Liebesgedicht viel besser passt?
Die Uhr schlägt sieben. Im Vorzimmer warten sicher schon ihre Minister, aber Graf Alexander Andrejewitsch Besborodko, ihr Minister, hat sich noch nicht zum morgendlichen Vortrag eingefunden.
Es passt nicht zu ihm, zu spät zu kommen. Alexander Andrejewitsch ist von Natur aus kein Frühaufsteher, aber er hat sich den kaiserlichen Gewohnheiten angepasst und kann mittlerweile der Sache sogar etwas
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