Die Zarin der Nacht
mit seiner Schwester zu, die eine schreckliche Klatschbase ist. Er hält Pygmalion für einen berühmten griechischen Philosophen. Wenn er sich »zur Lektüre« zurückzieht, nutzt er seine MuÃe mit Vorliebe dazu, mit einem Fernrohr, das er extra zu diesem Zweck angeschafft hat, die Fenster der Kammern zu beobachten, in denen die Dienstmädchen untergebracht sind.
Anjetschka ist klug genug, das Gift, das sie verabreicht, mit scheinbar unbefangenem Gelächter zu versüÃen, aber ihre Geschichten und Anekdoten sind mit Bedacht gewählt. Im Moment interessiert sie sich besonders dafür, was für ehrgeizige Pläne Le Noiraud mit seiner Schwester hat. Sie hat ein Stück Satin zurückgehen lassen mit der Begründung, sie finde den Stoff nicht fein genug, zu gewöhnlich. Andere könnten denken, das habe nichts zu bedeuten, aber Anjetschka hat ein Gespür für versteckte Untertöne: Hat nicht vor kurzem GroÃfürstin Elisabeth eine Rolle von ebendiesem Stoff gekauft, um Polster
möbel in Zarskoje Selo damit überziehen zu lassen? Es könnte natürlich reiner Zufall sein, überlegt Anjetschka laut. Aber es sieht fast so aus, als versuchte Fürst Subows Schwester, jemanden zu übertrumpfen, der von weit höherem Rang ist als sie, nicht?
Wischka lacht. Sie weià längst, dass das Leben der Menschen, wenn man es nur genau genug untersucht, schrecklich banal ist.
Das aller Menschen.
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Das energische Klopfen an der Tür klingt wie Trommelwirbel. Pani hebt den Kopf, bleibt aber gelassen. Sie kennt das und weiÃ, dass es kein Grund ist, Alarm zu schlagen.
Besborodko kommt herein, sichtlich abgehetzt. »Die Schweden sind da, Majestät«, sagt er. Ein Knopf seines Rocks steht offen. »Entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Ich habe die letzten Meldungen abgewartet, um Majestät vom neuesten Stand der Dinge berichten zu können.«
Ein Hauch von Jasmin, den der Geruch von Moschus und Schnupftabak nicht ganz überdecken kann, weht ihr in die Nase. »Er hat eine Schwäche für Ballerinen«, hat Anjetschka, die über alle erotischen Aktivitäten am Hof bestens informiert ist, ihr erzählt. »Schlanke Fesseln ziehen ihn unwiderstehlich an.«
»Schöpfen Sie erst einmal Atem, Alexander Andrejewitsch«, sagt sie lächelnd. »Setzen Sie sich. Ich bin mit meiner Arbeit noch nicht fertig.«
Er nickt dankbar und nimmt in einem Sessel Platz, seiner Leibesfülle zum Trotz nicht ohne jugendlichen Schwung. Auf seiner Stirn unter dem Rand der Perücke glitzern SchweiÃperlen. Seinen rotgeränderten Augen und den schweren Tränensäcken nach zu urteilen, ist es gut möglich, dass er in dieser Nacht gar nicht geschlafen hat.
Pani begrüÃt ihn mit lebhaftem Tänzeln und Springen und
Schwanzwedeln und gibt erst Ruhe, als er ihr gestattet, ihre Pfoten auf seinem gewaltigen Brustkasten ruhen zu lassen.
»Ach, wie konnte ich das nur vergessen, meine Schöne«, murmelt er und zieht ein schwarzes Lackkästchen aus der Tasche, dem er ein Stückchen Blutwurst entnimmt. »Natürlich kriegst du es, Pani, aber nur, wenn Ihre Majestät es erlaubt.«
»Ihre Majestät hat nichts dagegen«, murmelt sie, ohne von dem Bericht über religiöse Vorschriften im Judentum, den sie angefordert hat, aufzuschauen. Bevor Russland seine Grenzen nach Westen hin erweitert hat, gab es keine jüdische Bevölkerung im Reich. Jetzt sind viele tausende Juden ihre Untertanen.
Sie hört, wie Pani den Leckerbissen verzehrt und schnüffelnd nach mehr sucht. »Etwas mehr Würde, Pani«, murmelt der Graf. »Du bekommst alles, was du verdienst.« Und dabei tätschelt er Panis Flanken.
Bevor sie die Feder weglegt, schreibt sie noch eine letzte Randbemerkung, in der sie Gribowski auffordert, auf die Rechtsprechung in den Gemeinden genauer einzugehen. Ihr Sekretär soll nicht glauben, bei einer zusammenfassenden Darstellung könne er grundlegende Informationen einfach weglassen.
Besborodko hat eine dicke Aktenmappe aus goldgeprägtem Leder dabei, aber aller Erfahrung nach wird er sie nicht zu öffnen brauchen. Wie Grischenka kann er den Inhalt ganzer Dokumente auswendig hersagen, wenn er sie nur ein einziges Mal durchgelesen hat. Er macht sich nie Notizen, wenn er bei ihr ist, und kann noch nach Stunden seinem Sekretär ihre Anordnungen vollständig und korrekt aus dem
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