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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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glückverheißende Vorzeichen bezüglich einer engeren Verbindung
zwischen Schweden und Russland zutage gefördert.« Wenn er lächelt, strahlt sein ganzes Gesicht, und seine Augen funkeln. Die kleine Lücke zwischen zwei Schneidezähnen verleiht ihm etwas Lausbubenhaftes.
    Absolute Perfektion ist, wie die Kaiserin ihren Enkeln immer wieder ins Gedächtnis ruft, auf dieser Welt nicht zu haben, aber es gibt doch Menschen, die diesem Ideal ziemlich nah kommen. Der Mann, der vor ihr im Sessel sitzt, ist ein perfekter Höfling. Oberflächlich seicht oder seriös je nach der Gesellschaft, in der er sich bewegt, immer geschmeidig der Macht zu Willen und doch im Innersten stahlhart und mit einem Verstand gesegnet, der so scharf ist wie eine Damaszener Klinge.
    Sie besprechen noch einige andere aktuelle Angelegenheiten.
    Da die polnischen Gefangenen in der Peter-und-Paul-Festung bei früheren Vernehmungen immer nur großartige Erklärungen abgegeben hatten, in denen von Liebe zum geknechteten Vaterland und von dem zum Himmel schreienden Unrecht, das ihrer Nation angetan wurde, die Rede war, hat man nun andere Saiten aufgezogen. Man hat ihnen unmissverständlich klargemacht, welche Informationen von ihnen erwartet werden: Namen von Leuten, die den Aufstand unterstützt, die Waffen und Proviant geliefert, Geld gespendet, Pamphlete gedruckt haben. Ihr Anführer Kościuszko ist im Haus des Kommandanten untergebracht, wo er allen Komfort hat und von den besten Ärzten behandelt wird. Seine Wunden heilen gut. Gerüchte – höchstwahrscheinlich von den Amerikanern in Umlauf gesetzt –, denen zufolge ihm eine Amputation droht, entbehren jeder realen Grundlage.
    Â»In ein paar Monaten«, versichert ihr Minister, »wird es im polnischen Topf vielleicht noch ein bisschen brodeln, aber es wird nichts mehr überkochen.«
    Sie nickt zustimmend.
    Besborodko bittet um Erlaubnis, sich zurückzuziehen. Wie immer erwartet ihn in seinem Büro reichlich Arbeit.
    Â»Ja, gehen Sie.«
    Der Graf ist schon an der Tür, da bleibt er stehen, als wäre ihm gerade etwas wieder eingefallen, das er vergessen hatte. »Ich habe mir noch eine Freiheit genommen, Majestät, und vorgestern in Ihrem Namen eine Wagenladung frisch geschnittene Tannenwedel in die schwedische Botschaft liefern lassen. In Schweden ist es Brauch, wenn man Gäste erwartet, die Fußböden mit solchen Zweigen zu bestreuen, die das ganze Haus mit angenehmem Duft erfüllen.«
    Seine sinnlichen Lippen verziehen sich in einem selbstzufriedenen Grinsen. »Man hat mir berichtet, die einfühlsame Gastfreundlichkeit Ihrer Majestät hat den König zu Tränen gerührt.«
    *
    Alexandrine mit ihren klaren blauen Augen, den honigblonden lockigen Haaren und den fließenden, anmutigen Bewegungen einer Ballerina ist die hübscheste ihrer Enkelinnen. Wenn man sie sieht, kann man leicht vergessen, wie hässlich sie als Baby war mit diesen sonderbaren wuscheligen Haaren, die weder ausfielen noch wuchsen.
    Â»Es ist am besten, man lässt der Natur ihren Lauf«, hat Anjetschka gesagt. Sie hält sich für eine Expertin in Liebesdingen, behauptet, sie habe Visionen und prophetische Träume, die ihr Treuebruch und unerwartete Begegnungen ankündigten, sie auf verborgene Leidenschaften und heimliche Rendezvous aufmerksam machten. Sie entdeckt Spuren allzu leidenschaftlicher Küsse, es entgeht ihr nicht, wenn ein Billetdoux von einer Hand in eine andere wandert, sie bemerkt jedes allzu großzügige oder zu persönliche Geschenk. Es erfüllt sie bis heute mit tiefer Genugtuung, dass sie den Verrat von Monsieur Rotrock vorhergesehen hat. Nur in ihrem eigenen Fall versagt ihre Expertise. »Wieso sollte ich mir einen Mann wünschen, Majestät?«,
hat sie einmal gefragt. »Um mich von ihm herumkommandieren zu lassen?«
    Im Blauen Salon huscht Alexandrines Blick hinauf zu dem Deckengemälde, wo die allegorischen Gestalten von Wahrheit und Weisheit, umgeben von ihren feisten, rotbäckigen Kindern, zu sehen sind. In den letzten Wochen hat Miss Williams Lektüre zur schwedischen Geschichte und Landesnatur für sie ausgewählt. Einige Wikingersagen und, weil sie Alexandrines Tierliebe kennt, allerlei Wissenswertes über Elche, Rentiere und Seehunde.
    Am Fenster stehen zwei große Töpfe mit blühenden Zitronenbäumchen, zwischen deren glänzenden Blättern

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