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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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seine Niederlage erinnern wird. Es gibt noch weitere Vorteile dieses Umzugs. Die polnischen Gefangenen in der Festung werden ihn beneiden. Es wird Kollaborationsvorwürfe geben. Anspielungen auf Vergünstigungen, vielleicht sogar auf Verrat. »Ich muss dir nicht erklären, Konstantin«, fährt sie fort, »dass dies für Russland von Vorteil sein wird.«
    Ihr Enkel strahlt sie an. Er reibt sich die Hände. Große, breite Hände mit rötlichen Haaren. Seine Fingernägel sind schwarz, aber sie sieht davon ab, ihn auf die Tugend der Sauberkeit hinzuweisen.
    Â»Nein, Grandmaman«, sagt Konstantin, und seine Stimme wird vor Aufregung lauter. »Das musst du mir ganz und gar nicht erklären.«
    Â 

Neben der Marmorsäule unterhält Besborodko sich mit dem australischen Gesandten. Die Kaiserin winkt ihn zu sich, aber zu ihrer Überraschung ist es diese lästige Madame Lebrun, die sich – im Glauben, das Zeichen gelte ihr – tief verbeugt und zum Thron eilt.
    Â»Ich werde sie abwimmeln«, erklärt Le Noiraud erfreulich eifrig. Sobald Konstantin gegangen war, ist Platon an ihrer Seite erschienen. Anders als ihre Enkelsöhne weiß er immer genau, wo er sein möchte.
    Â»Nicht nötig«, sagt sie, während Lebrun sich nähert, mit einem seligen Lächeln im geschminkten Gesicht und zwei Straußenfedern, die über ihrer raffinierten Turmfrisur wippen. »Es wäre zu grausam.«
    Â»Kaiserliche Majestät sehen aus wie die triumphierende Minerva«, erklärt Madame Lebrun, während sie sich zum Kuss über die kaiserliche Hand beugt, und preist dann »das unvergleichliche Wechselspiel von tiefen Blau- und warmen Ockertönen« der kaiserlichen Mantille. Auch Platons patrizisches Profil, besonders den feinen Schwung seiner hohen Stirn, findet sie hinreißend. » Votre Altesse müssen ausgezeichnete griechische Vorfahren haben«, sagt sie.
    Madame Lebrun ist Malerin. Vor einem Jahr ist sie, mit exzellenten Empfehlungsschreiben versehen, nach Sankt Petersburg gekommen und hat jedermann wissen lassen, dass ihr Porträt von Marie Antoinette an allen europäischen Höfen für brillant befunden worden sei. Diese Behauptung und die wenigen Porträts der kaiserlichen Familie, die sie bisher hat malen dürfen, haben ihr Aufträge aus den besten russischen Häusern eingebracht.
    Es hat durchaus Abenteuerliches in Madame Lebruns Vergangenheit gegeben, wovon sie, wenn man sie darum bittet, in qualvoller Ausführlichkeit erzählt. Die Flucht in einer Postkutsche von Paris nach Lyon und über die Alpen nach Italien, als einfache Arbeiterin verkleidet und nur in Begleitung ihrer
Tochter und deren Gouvernante. Und zwar, weil sie fürchtete, als Marie Antoinettes treueste Freundin zur Guillotine geschleift zu werden.
    Â»Meine geliebte Königin, möge ihre gequälte reine Seele in Frieden ruhen«, sagt sie jetzt und wischt sich eine imaginäre Träne aus den Augen, »hat mich letzte Nacht im Traum besucht. Sie aß Galettes, gefüllt mit Mandelcreme. Und war glücklicher, als sie jemals auf Erden gewesen ist.«
    Sämtliche Exilfranzosen in Russland sind offenbar sehr eng mit Marie Antoinette befreundet gewesen. Genauso wie jeder Pole, der nach Sankt Petersburg kommt und sich Vergünstigungen erhofft, Katharina versichert, an dem gescheiterten Aufstand hätten nur ein paar verblendete Hitzköpfe teilgenommen, die jetzt allesamt in den Gefängnissen von Majestät säßen. Alle anderen Polen hätten sich immer nach der russischen Herrschaft gesehnt. Und jeder von ihnen hat stets Wagenladungen von silbernem Geschirr, Stapel von unbezahlbaren Tapisserien und Gemälden und einen exzellenten Weinkeller verloren, sobald auch nur ein einziger russischer Soldat zufällig den Fuß auf sein Anwesen setzte.
    Madame Lebrun blickt rasch und ruckartig wie ein Vogel um sich, um zu prüfen, wie viele ihren Auftritt registriert haben. Sie verbeugt sich und gerät ganz außer Atem, als sie beschreibt, wie viel Mühe sie sich immer gibt, um ihren ausgezeichneten Modellen gerecht zu werden. »Die Muse zeigt sich manchmal so spröde. Häufig muss ich die Palette beiseitelegen und mich mit feuchten Tüchern auf den Augen niederlegen und einfach warten.«
    Madame glaubt an die Macht fortwährenden Geplappers und bewundernder Plattitüden. Jeder, den sie jemals gemalt hat,

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