Die Zarin der Nacht
Verehrer nicht zu lange allein lassen. Es gibt hier viele schöne Prinzessinnen, die nur darauf warten, ihn dir zu stehlen.«
»Das stimmt nicht«, protestiert Alexandrine, genauso wie vor gar nicht so langer Zeit, wenn jemand zu ihr sagte: »Ach, du hast leider das Einhorn verpasst. Lauf schnell, es ist noch im Garten. Wenn du rennst, kannst du es noch sehen.«
Platon berichtet Katharina, dass der schwedische König und Alexander über die russische banja sprachen. »Ist die so wie die finnischen Saunen?«, habe der König wissen wollen. In Schweden, habe er Alexander erklärt, hätten sie früher bastu gehabt. Aber das sei eine Verschwendung von Feuerholz; und eine Verlotterung der Moral. Geschlechtskrankheiten würden dadurch verbreitet. Der König habe schwedische Ãrzte zitiert, die warnten, dass solche Bäder zu Krämpfen, dem Verlust des Sehver
mögens und zu Tumoren führten. Deshalb hätten sie diesen Brauch abgeschafft. »Nichts reinigt den Körper so wie ordentliches Schwitzen«, habe Alexander dazu bemerkt. »Und die Frauen?«, habe der König gefragt. »Gehen sie auch in die russischen banjas ? Entstellt der Dampf nicht ihre Körper? Macht ihre Haut braun und schrumpelig?«
Statt einer Antwort lud Alexander den König ein, ihn in die kaiserliche banja zu begleiten.
»Und was hat der König dazu gesagt?«, fragt sie Platon.
»Dass er die Bäder in Zarskoje Selo ausprobieren wird. Sobald ihn die Gelegenheit dorthin führe.«
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Die groÃe Ballsaaluhr schlägt elf. Es ist eine alte Uhr, nicht immer verlässlich. »Wieso kaufen Sie keine neue?«, fragt Le Noiraud, aber Katharina weigert sich, sie ersetzen zu lassen, denn die Uhr ist eine Erinnerung an die Jugend Peters des GroÃen. Sie hat Antiquitäten schon immer geliebt, aber inzwischen sind alte Dinge ihr besonders lieb geworden, denn sie haben Gefahren, gute und schlechte Zeiten überstanden.
Heute war ein guter Tag. Sie hat ihre Zeit klug genutzt. Im Winterpalast wird es Anna Fjodorownas Pflicht sein, sich jeden Morgen in Hofkleidung zu präsentieren. Es wird keine blauen Flecken mehr geben. Gustav Adolf tanzt gerade wieder mit Alexandrine, und selbst wenn er es zwischendurch einmal nicht tut, kann er den Blick nicht von ihr wenden.
Die Kaiserin kann sich zur Ruhe begeben.
»Ich überlasse die jungen Leute jetzt ihrem Vergnügen«, erklärt sie ihrem Liebhaber. »Du kannst bleiben, wenn du möchtest.«
Platon blickt vorsichtig in die Richtung seines Bruders Valerian, der, umgeben von den hübschesten Hofdamen, an einer Marmorsäule lehnt. Seit er aus dem polnischen Feldzug zurückgekehrt ist, macht Valerian aus jedem Auftritt bei Hofe eine kleine Sensation. Er sieht besser aus als Platon, breitschultrig
und männlicher. Das fehlende Bein macht ihn nur noch anziehender. Ein russischer Held hat Anspruch auf Privilegien.
Armer Le Noiraud, der einen so schmerzhaft genauen Blick für anderer Leute Vorzüge im Spiel der Leidenschaften hat. Wenn er ihr nur wieder Lust verschaffen würde, so wie früher, als ihr Körper noch Verlangen spüren konnte. Wenn sie nur wieder in seinen Armen, unter seiner Zunge dahinschmelzen könnte. Wenn er nur wüsste, dass sie auf seine Berührung wartet.
Rogersons Tinkturen führen bei ihr nur zu Blähungen. Oder zu einem bitteren Geschmack im Mund, der einfach nicht weggeht. In ihrem Inneren ist nichts als die aschgraue Erinnerung an das, was einst eine Wonne war.
*
Im Hof des Palasts haben die Diener das Kopfsteinpflaster mit Wasser besprengt und fegen jetzt die Ãberreste des Balls zusammen, zerrissene Taschentücher, zerknüllte Bänder, Pferdeäpfel, verschütteten Hafer und Sägespäne, Glasscherben. Die Weidenbesen rascheln. Körbe werden gefüllt und weggekarrt. Irgendwo in der Ferne hört sie das sanfte Schleifen von Metall auf dem Wetzstein.
Wischka hat ihr von fünfzehn verlorenen Schmuckstücken und einem verrenkten Knöchel berichtet. Es gibt Hinweise auf diverse Rendezvous auf der Bibliotheksottomane, dem Billardtisch und der Dienstbotentreppe. Ein betrunkener Gast ist in den Kängurukäfig geklettert und hat einem Tier einen Hut aufgesetzt. »Noch dazu einen runden«, hat Wischka gesagt und dabei das Gesicht verzogen, ausgerechnet das Symbol revolutionärer Gefühle.
Das erinnert die Kaiserin an die polnischen
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