Die Zarin der Nacht
haben. Er neigt zu Jähzorn. Aber er hat ein gutes Herz, und er wird lernen, dich zu lieben.«
Anna lässt den Kopf sinken, starrt auf den Boden.
Darauf läuft es also hinaus. Anna Fjodorowna möchte beruhigt werden.
»Es erging mir genauso wie dir«, erklärt sie Konstantins junger Frau. »Ich kam hierher, um einen Fremden zu heiraten. Anfangs liebte mein Ehemann mich nicht. Ich musste ihn erst dazu bringen. Ich musste mir meinen Platz am Hof selbst erkämpfen. Als GroÃfürstin musste ich mich ihm nützlich machen. Seine Interessen teilen. Ihm bei Amtspflichten helfen, die er lästig fand. Ich lernte alles, was für ihn wichtig war. Ich gewann sein Vertrauen.«
Anna Fjodorowna starrt auf den Boden, wagt nicht, sie zu unterbrechen. Vielleicht dringt ja einiges von dem, was Katharina sagt, zu ihr durch, zu dieser albernen kleinen Träumerin. Vielleicht reicht das.
Doch das tut es nicht. Die Fürstin schüttelt den Kopf, schiebt die Ãrmel hoch und zeigt ihre Verletzungen, blaue und gelbe Flecken auf ihren Armen. Dann öffnet sie ihren Morgenmantel und schiebt das Hemd beiseite. Die Haut auf ihrer Brust ist mit roten Striemen bedeckt.
Ein kurzes Schweigen entsteht. Zeit, um zu überlegen, was möglich ist, was gesagt werden kann und was nur vorsichtig angedeutet werden darf.
»Hast du schon mit irgendwem darüber gesprochen, Anna?«, fragt Katharina vorsichtig.
Die Frau ihres Enkels schüttelt den Kopf, aber ist das auch die ganze Wahrheit? In den umständlichen Briefen, die sie ihrer Mutter schreibt, steht hauptsächlich Banales. Ob sie ihr womöglich unentdeckt andere hat schicken können, die Katharinas Spione nicht abgefangen haben? Oder sind die scheinbar harmlosen Wörter, die sie benutzt, Teil eines Geheimcodes? Aber was würde Maman denn tun können, auÃer von den Pflichten einer Ehefrau zu sprechen und ihrer Tochter zu raten, geduldig zu sein?
»Ich bin froh, dass du geschwiegen hast«, sagt sie zu dem Mädchen. »Dass du die Unschuld anderer geschützt hast.«
Jetzt schluchzt Anna. Es ist ein klagendes Schluchzen, ein deutliches Zeichen, dass einige Hinweise weitergereicht, einige Geständnisse gemacht worden sind.
»Du bist ein kluges Mädchen«, fährt Katharina fort. Ihre Stimme klingt jetzt härter. Auch für sie gibt es keine angenehme Weise, das zu sagen, was sie zu sagen hat. »Ich kann ihm verbieten, dich anzurühren. Ist es das, was du möchtest? Möchtest du wenige Monate nach der Hochzeit eine getrennt lebende Ehefrau werden? Er steht, wie du weiÃt, an zweiter Stelle der Thronfolge.«
Wenn du die Bälle, die Tanzfeste, den Glanz des Hofes willst, hast du gewisse Opfer zu bringen. Du musst schweigen. Du musst mir gegenüber loyal sein. Du musst irgendwie damit
zurechtkommen. Werde schwanger, schenk ihm einen Sohn, und nimm dir einen Liebhaber. Lass deinem Mann sein Vergnügen, und sorg du für deines. So leben die meisten Menschen. In diesem Land und in anderen.
»Willst du zurück zu deiner Mutter?«
Anna Fjodorowna denkt schweigend darüber nach. Schwer zu sagen, wohin ihre Gedanken wandern. Zu den Freuden und Schmerzen eines GroÃfürstinnen-Daseins? Oder glaubt sie immer noch, dass sie, die Kaiserin, das Verhalten ihres Mannes ändern, sie vor Schmerzen bewahren kann?
Katharina streckt die Hand aus und stopft eine lose Strähne wieder unter Annas bebänderte Haube. »Wie geht es mit den Kontratanz-Stunden voran, meine Liebe?«, fragt sie. »Elisabeth hat mir erzählt, dass du dich anmutiger bewegst als sie. Ich möchte dich heute Abend tanzen sehen.«
*
Der Taurische Palast ist geräumt, geputzt, gewienert und mit Blumengirlanden und frischen Kiefernzweigen geschmückt worden. Es wimmelt von Gästen. Alle, berichtet Anjetschka, bewundern die Porzellanfiguren der russischen Völker und wie einfallsreich Speisen und Getränke dargeboten werden. Stör-Creme in Form eines Riesenfischs mit Gurkenscheiben als Schuppen. Wodkaflaschen in Eisblöcken, in denen gefrorene weiÃe Rosenknospen zu treiben scheinen. »Der Koch will keinem verraten, wie er das gemacht hat«, sagt Anjetschka bedauernd.
Der schwedische König scheint keine Augen für all die Kostbarkeiten zu haben, doch das ist eine Täuschung. Bevor er seine Reverenz erwiesen und Sankt Petersburg als das prächtige Venedig des Nordens apostrophiert hat,
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