Die Zarin der Nacht
ist er vor Grischenkas Kollektion alter Ikonen stehen geblieben und hat seinem Onkel etwas zugeflüstert.
Der Ball zu Ehren der schwedischen Gäste ist die geeignete Kulisse für junge Leidenschaft. Die gut gebohnerten FuÃböden erleichtern das Tanzen. Die Gewänder sind prächtig; der Schmuck funkelt im Kerzenlicht. Die Natur ist unsere Lehrmeisterin, denkt Katharina. Zeig Farbe, mach dich bemerkbar, bezaubere. Wir tanzen alle den gleichen Tanz.
Von ihrer erhöhten Position aus beobachtet sie im Ballsaal, wie Gustav Adolf sich Alexandrine nähert. Sie trägt ein rosafarbenes Satinkleid; ein Spitzentuch versteckt ihre schmalen Schultern, Ringellocken fallen ihr in den Nacken. Ihre Augen leuchten jedes Mal auf, wenn sie hochschaut, aber sie ist schüchtern und blickt meist zu Boden.
Das liebe Kind. So viel hat sie noch vor sich. Die SüÃe des ersten Kusses. Die Unruhe des Begehrens, die Ekstase der Erlösung. Nimm dir alles, Liebes . Trink so viel du kannst, denn es vergeht so schnell. Das Begehren ist ein Geschenk der Natur. Wenn es verschwindet, beginnt der Niedergang. Verfall und Schmerz. Leere und Trauer.
Alexander wirft dem schwedischen König einen düsteren Blick zu. Er ist eifersüchtig, denkt Katharina, so eifersüchtig, wie ältere Brüder eben sind. Adam zupft ihn am Ãrmel, zeigt auf das Orchester, das auf dem erhöhten Podium Platz nimmt. Mit der geschickten Imitation eines wirbelnden Schmetterlings, einer der Kontratanzfiguren, legt er seinen langen Arm um den Rücken einer imaginären Dame.
Alexander nickt und lacht.
Paul ist gerade aus Gatschina angekommen und nähert sich seiner Mutter mit affektiertem Gang, stets ein unwilliger Gast, der alles um sich herum beargwöhnt. Sie hört sein lautes Schnauben. Das Geräusch, obwohl so vertraut, wird ihr immer unerträglicher. Nicht einmal das Atmen hat etwas Selbstverständliches bei diesem ihrem Sohn.
Er trägt die Preobraschenski-Uniform, ein Zugeständnis an sie, wie sie weiÃ, denn er bevorzugt die blaue Uniform der Preu
Ãen. In Gatschina bezeichnet Paul die kaiserlichen Garden als verwöhnt, sie hätten keine Ahnung von militärischer Disziplin. Anders als der kaiserliche Feldmarschall Suworow glaubt ihr Sohn an die Macht gepuderter Perücken und blankgeputzter Knöpfe. Sie sitzt ganz tief in ihm drin, diese unstillbare Liebe zu Musketen, Kanonen, Uniformen, Trompeten und Pferden. Dieses Verlangen, seine Soldaten im Gleichschritt marschieren zu sehen, wie Räder einer Riesenmaschine. Der preuÃische Drill, der Gänsemarsch, die stramm sitzenden Uniformen. Suworow mag die Türken und die Polen geschlagen haben, aber ihr Sohn glaubt immer noch, die Russen verdienten es nicht, seinem Friedrich auch nur die Stiefel zu lecken.
Sie begrüÃen einander. Katharina erkundigt sich nach seiner Gesundheit, er berichtet ihr von den Plänen seiner Frau für die Umgestaltung dieses oder jenes Raums in Gatschina.
Gerade hat ein Tanz geendet. Alexandrine verneigt sich anmutig und lässt sich vom schwedischen König zurück zu ihrer Gouvernante bringen. Beide zeigen unmissverständliche Hinweise auf gegenseitige Anziehung. Ihre Köpfe sind einander zugeneigt.
»Ist Alexandrine nicht vielleicht zu jung?«, fragt Paul. »Wäre es nicht vernünftig, die Verlobung noch um mindestens ein Jahr zu verlängern?«
»Warum?«, fragt sie.
Paul blinzelt. Seine Mopsnase zuckt, und er reibt sie mit dem Knöchel. »Meine Frau und ich dachten â¦Â«
»Was hat Maria Fjodorowna denn einzuwenden?«, unterbricht sie ihn. »Weià sie womöglich von anderen glänzenden Aussichten, die mir nicht bekannt sind?«
Ihr Sohn stammelt: »Keine anderen Aussichten.« Dann wechselt er das Thema. Im Garten von Gatschina habe es dieses Jahr besonders üppig geblüht. Die Rosen seien prächtig gediehen.
Auch das ärgert sie. Wie schnell er aufgibt. Wie gedenkt er
denn bloà Russland zu regieren? Indem er sich jedem beugt, der lauter ist als er?
Ihr Sohn spricht immer noch, aber sie hört nicht mehr zu.
Die treue, aufmerksame Wischka wartet in der Nähe, immer bereit, ihre Herrin zu erlösen. Eine kleine Geste genügt, und, das runzlige Gesicht in besorgte Falten gelegt, eilt sie herbei.
»Darf ich Sie kurz sprechen, Majestät?«, fragt sie.
Der GroÃherzog von Russland, der Erbe des Throns, lässt sich wie
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