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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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besitzt unvergleichlichen Charme, engelhafte Süße oder außerordentliche Anmut, und alldem als Malerin gerecht zu werden sei beinahe unmöglich.
    Bei Katharina hat sie sich nicht gut eingeführt. Alexandrine
und Jelena haben Madame als Erste Modell gesessen, und sie, ihre Großmutter, fand das Ergebnis enttäuschend. Madame Lebrun hat zwar durchaus etwas von der Frische und Lebendigkeit der Mädchen eingefangen, aber das Bild hat auch etwas Hölzernes.
    Platon, zufrieden, weil er als Votre Altesse angeredet worden ist, fragt Madame, wer denn jetzt das Glück habe, ihr Modell zu sitzen.
    Â»Fürstin Dolgoruka«, erwidert Madame. »Aber wenn ich mit der Überzeugungskraft von Mon Seigneur rechnen dürfte, würde ich wagen, mir sehr viel höhere Hoffnungen zu machen.«
    Da ist sie schon, denkt Katharina, die unvermeidliche Bitte. Und natürlich verleiht Madame Lebrun, nach einer weiteren kunstvollen Verbeugung, die die Straußenfedern ordentlich durchschüttelt, prompt ihrer inbrünstigen Hoffnung Ausdruck, die Kaiserin des russischen Reichs möge eines glücklichen Tages einer armen französischen Exilantin die höchste Gunst gewähren, »das göttliche Antlitz Ihrer kaiserlichen Majestät zu malen«.
    Â»Vielleicht in einigen Monaten«, erwidert Katharina. »Wenn ich mehr Zeit habe, Modell zu sitzen.«
    Der Fächer in Madames Hand flattert wie verrückt. Madames Lippen öffnen sich zu einem glückseligen Lächeln. »Oh, Majestät«, sprudelt sie hervor, entschlossen, schon ein vages Versprechen für den Sieg zu halten. »Dies ist wahrhaftig der glücklichste Tag meines Lebens.«
    Â 
    Katharina entdeckt ihren Enkelsohn am offenen Fenster, wo er in die dunstige Nacht starrt. Sehr lange rührt Alexander sich nicht, scheinbar gleichgültig gegen die zunehmende Fröhlichkeit im Saal, das Gelächter, die wiegende Melodie der Polonaise.
    Sie hätte gern sein Gesicht gesehen, aber er hat es abgewandt und sie kann es sich nur vorstellen. Verkniffen vor Besorgnis, angespannt. Der arme Monsieur Alexander, der am liebsten
die Uhr zurückstellen und in seine Knabenkindheit zurückkehren würde. Die schönste Zeit seines Lebens, denkt sie, nicht ohne Stolz. Ihr Geschenk an ihn, an all ihre Enkelkinder. Eine Zeit der Wunder mit kleinen Einsprengseln von Realität. Eine Zeit gesunder Freuden und würdiger Beschäftigungen.
    Du kannst nicht für immer Kind bleiben, Alexander, könnte sie zu ihm sagen, tut es aber nicht.
    Es wird allmählich spät. Der Regen hat aufgehört, und die Nacht ist sternenklar. Auf dem Kanal ziehen kleine Boote dahin, eingehüllt ins Licht der Laternen. Neugierige Fahrgäste blicken herüber zum Taurischen Palast, hoffen auf flüchtige Eindrücke vom Ballgeglitzer. »Wie viele Menschen gibt es, Grandmaman, die mich noch nie gesehen haben und die ich auch nie sehen werde?«, hat Monsieur Alexander sie einmal gefragt. Was für ein wissbegieriges Kind er war. So nachdenklich und so außerordentlich klug.
    Der Ball nimmt seinen vorhersehbaren Lauf. Es vergeht kaum ein Augenblick, ohne dass jemand sich nähert, um ihr die Hand zu küssen und ein paar Worte zu wechseln. Am Ende des Abends ist ihre Hand ganz wund.
    Prinz Adam führt Elisabeth in einem Menuett. Jeder seiner gleitenden Schritte ist genau gesetzt, so präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Sie sieht, dass das schmale Gesicht des Prinzen vor Konzentration ganz grimmig blickt. Was ist nur los mit der heutigen Jugend? Warum neigen alle zu diesen ernsten Stimmungen?
    Zu ihrer Erleichterung bemerkt sie, dass Alexander jetzt seinen einsamen Posten verlässt und sich sichtlich mit echtem Vergnügen unter die Tanzenden mischt. Ein feines, offenes Gesicht, so hat ihn jüngst ein Besucher des Hofs in einem Brief beschrieben. Man weiß nur Gutes über ihn zu sagen.
    Nun tanzt er mit Alexandrine, führt ihre Hand an ihren Fingerspitzen und lässt sie einen Kreis um sich drehen. Wischka sollte daran erinnert werden, dem Tanzmeister ein hübsches
Geschenk zukommen zu lassen. Von der letzten Bestellung sollten noch genügend Schnupftabaksdosen übrig sein. Mit dem in Elfenbein geschnitzten Profil der Kaiserin aller Russen. Der Tanzmeister hat vielleicht nicht die allerprächtigste verdient, eine Dose mit kleineren Diamanten sollte genügen.
    Alexandrines goldenes Haar ist kunstvoll geflochten

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