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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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geübt, das zu entdecken und zu erlauschen, worauf es ankommt.
    Â»Du hast schon wieder mit Dienstboten geredet? Wo bleibt deine Würde, Sophie? Hast du denn gar keinen Stolz?«
    Maman hat unrecht.
    Freundschaften entstehen bei zufälligen Begegnungen, im
dämmrigen Licht eisig kalter Wintertage, auf dem Korridor im Palast, im Vorzimmer von Peters Suite, wo die Prinzessin von Anhalt-Zerbst warten muss wie irgendein Lieferant oder ein Bittsteller.
    Fragen sind ein guter Anfang. Fragen, gefolgt von einem bittenden Lächeln, den Kopf spielerisch schief gelegt. Zuerst ganz unverfängliche Fragen, die leicht zu beantworten sind. Woraus wird Kwass hergestellt, Warwara Nikolajewna? Was heißt »Biene« auf Russisch? Haben Sie schon einmal einen Elefanten gesehen? Das sind wirklich wunderbare Geschöpfe! So anmutig und dabei so groß und stark! Ist Warwara die russische Form von Barbara?
    Später, wenn der Ton entspannt und heiter wird, sind auch andere Fragen möglich:
    Sind Sie schon lange am Hof?
    Ihr Vater war Buchbinder? Sie sind ein Mündel der Kaiserin? Sie sind auch fremd hier?
    Ihre Eltern sind beide tot?
    Sie sind allein auf der Welt?
    Am Ende kommt es nicht mehr darauf an, was, sondern nur, wie man fragt. Augen sehen, auch wenn man an etwas anderes denkt. Ohren registrieren jede Veränderung des Tons, jedes kleine Stocken beim Sprechen. Jede Antwort, mag sie noch so kurz, so gedankenlos hingeworfen sein, verrät etwas. In Wörtern sind andere Wörter versteckt. Sie verweisen auf etwas Ernstes, das außerhalb dieser zugigen Räume vor sich geht. Jedes Zögern, jedes Abschweifen des Blicks hat seine Bedeutung. Sollen sie den Neuling irreführen? Sind es Warnungen, die sie sich zu Herzen nehmen soll? Einmal hat sie eine Passage aus einem Buch abgeschrieben und am nächsten Tag das zu Asche verbrannte Blatt Papier auf einem Silbertablett in ihrem Zimmer vorgefunden.
    Niemand kann ohne Verbündete überleben.
    Nicht hier. Nicht an diesem Hof.
    Sie hält sich an der Stuhllehne fest. »Helfen Sie mir beim Russischlernen, Warwara Nikolajewna? Hin und wieder?«
    Â»Ja, Hoheit.«
    Â»Lesen Sie mir auch vor? Aber nur Geschichten, die gut ausgehen. Es gibt genügend Unglück auf der Welt.«
    Â»Wenn die Kaiserin es erlaubt, gerne.«
    Â»Ich werde sie fragen, sobald sie wieder da ist. Und ich werde Ihr Loblied singen. Ich werde der Kaiserin erzählen, wie freundlich und hilfsbereit Sie sind. Wenn es nur schon so weit wäre!«
    Â»Sie ist sehr beschäftigt, Hoheit. Es ist besser, Sie warten, bis der rechte Moment da ist.«
    Â»Woher weiß ich, wann er da ist? Sagen Sie es mir?«
    Warwara gibt keine Antwort auf diese Frage. Sie sagt: »Lob ist nicht immer gut, Hoheit. Am besten ist es, Sie erwähnen mich gar nicht, wenn Sie mit der Kaiserin sprechen.«
    Â»Warum?«
    Â»Es ist am besten, wir verraten nicht, was wir wirklich wollen. Wir dürfen uns unsere Ungeduld und unsere Ängste nicht anmerken lassen.«
    Â 
    Wie die Mutter so die Tochter.
    Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
    Â 
    Geräusche wecken sie in der Nacht. Die Wände sind dünn. In Mamans Zimmer knarzt ein Bodenbrett. Eine Schranktür quietscht. Ein Poltern, Kichern, Gläser klingen. Der Wein ist schlecht, aber besser als nichts. Es ist eine kalte russische Nacht.
    Â»Warte, bis wir wieder in Sankt Petersburg sind«, sagt der Chevalier Bezkoy. »Da ist es noch kälter.«
    Â»Viel kälter?«
    Â»So kalt, dass Vögel in der Luft erfrieren und tot vom Himmel fallen. Um drei Uhr nachmittags ist es schon dunkel.«
    Â»Das glaube ich nicht.«
    Â»Oh, doch, so ist es.«
    Bald danach verändert sich Mamans Stimme. Sie klingt gepresst, erstickt. »Nicht hier … warte … lass mich …« Das Bett knarrt, immer heftiger, gieriger, rauer wird das Keuchen. Ein Kichern kippt um und verwandelt sich in ein tiefes lustvolles Stöhnen.
    Maman ringt nach Luft. Sie nennt den Mann, der bei ihr ist, ihren Geliebten, ihren Schatz, ihr Ein und Alles. »Du weißt nicht, wie ausgehungert ich war«, flüstert sie. »Wie er alles in mir erstickt hat all die Zeit.«
    Â 
    Es ist dunkel im Schlafzimmer. In der Dienstbotenkammer knirscht die Zofe mit den Zähnen und murmelt etwas auf Russisch, das wie ein Flehen klingt. Sie schläft tief und fest und wird so leicht nicht aufwachen.
    Sophie kann nicht

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