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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Ohren entgeht nicht die kleinste Veränderung im Ton ihrer leisen, aber klaren Stimme.
    Â»Ich möchte keinen Pastor. Könnte nicht der Ehrwürdige Vater Theodorski kommen, um mit mir zu beten?«
    Die Kaiserin starrt sie mit verkniffenen Augen an, geradezu wild. Sie runzelt die Stirn. Was hat das zu bedeuten, Sophie?, fragen ihre Augen. Ist es schlaue Berechnung oder ein Treuegelöbnis?
    Oder beides?
    Die Birkenscheite im Kamin knacken und zischen.
    Es ist Zeit, auf das Kissen zurückzusinken. Die Gedanken schweifen zu lassen über die öden Weiten dieses unbegreiflich großen Landes. Über gefrorene Felder, über dichte dunkle Wälder, auf denen Schnee liegt. Über zu Eis erstarrte Flüsse. Zeit, sich das vorzustellen, von dem sie, die Prinzessin von Anhalt-Zerbst, das allermeiste noch gar nicht gesehen hat. Gebirgsketten, die sich über den ganzen Horizont erstrecken, die endlosen Flächen von mit wogendem Gras bedeckter Steppe, so hoch, dass sich ein Mann zu Pferd darin verstecken könnte.
    Es ist Zeit, dass ihr Gesicht sagt: Ich bin nicht wie meine Mutter. Ich werde Sie nicht enttäuschen. Niemals, koste es, was es wolle. Jetzt ist der Moment gekommen, da ihre Lider flattern, Tränen in ihre Augen treten und über ihre Wangen laufen müssen.
    Â 
    Die Kaiserin von Russland blinzelt. Sie sitzt auf dem Rand des Betts. Die Matratze ist tief eingesunken unter dem Gewicht ihres üppigen Körpers. Sie hebt ihre weiche, duftende Hand. Die Nägel sind mit Rosenöl poliert.
    Warum zögert sie? Hat Sophie es übertrieben? War sie voreilig? Hat sie ihre tiefsten Sehnsüchte verraten und welchen Preis sie zu zahlen bereit ist, um ans Ziel ihrer Wünsche zu gelangen?
    Sie war gewarnt. Ihre neue Freundin hat ihr geraten, den rechten Moment abzuwarten. Beobachten Sie und lernen Sie von Leuten, die mehr Erfahrung haben, hat sie geflüstert.
    Doch sie kann ihre Worte nicht wieder zurücknehmen. Sie hat ihre Karte ausgespielt, und ihr bleibt jetzt nichts anderes übrig, als abzuwarten.
    Die Kaiserin dreht den Kopf. Ihre Bewegungen sind so langsam und gemessen, dass Sophie vor Spannung der Atem stockt.
    Â»Hören Sie zu, Undankbare«, sagt die Kaiserin zu Maman. In ihrer Stimme klingt unverkennbar Triumph. »Hören Sie, worum dieses süße Kind mich bittet.«
    In ihrer Vorstellung sieht Sophie eine Katze inmitten von wilder Katzenminze. Sie hascht nach den Blättern, kaut sie, tollt ausgelassen herum.
    *
    Sophie von Anhalt-Zerbst hat einen neuen, einen russischen Namen: Jekaterina Alexejewna nach Elisabeths Mutter. Eigentlich müsste sie Jekaterina Kristjanewna heißen, denn ihr Vater heißt Christian, aber die Kaiserin ist der Ansicht, das klinge zu ausländisch für ein russisches Ohr. Und eine russische Großfürstin, die Frau des Kronprinzen, muss ganz russisch sein.
    Warwara Nikolajewna, die sich am Hof auskennt, sagt, die Kaiserin halte Christian von Anhalt-Zerbst für einen Mann
ohne jede Bedeutung. Für einen Schmarotzer, der von den Beziehungen seiner Frau profitiere und dessen Name seiner Tochter nur schaden würde. »Lassen Sie niemanden Ihre Tränen sehen«, flüstert Warwara. »Es ist nicht so schlimm, wie es Ihnen jetzt erscheint.«
    In ihrem Heft notiert Jekaterina Alexejewna sorgsam die russischen Sprichwörter, die ihr Lehrer sie auswendig lernen lässt.
    Â 
    Delit schkuru neubitowo medwedja. Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist.
    Â 
    Jeden Abend binden ihre Zofen ihr Korsett auf, reiben ihren Busen mit Mandelmilch ein, massieren ihre Brustwarzen, bis sie hart werden, bürsten ihr Haar. Streifen feine Batisthemdchen über ihren parfümierten Körper. Ihre Brüste sind üppig, ihr ganzer Leib ist voller Leben.
    Sie führen sie zu ihrem mit Weihwasser gesegneten Ehebett und machen sich eilig davon.
    Sie wartet. Manchmal sitzt sie da, die Arme um ihre Knie geschlungen. Manchmal streicht sie mit der Hand über ihre Brüste, ihren Bauch, ihre Schenkel. Manchmal fährt sie mit den Fingern durch ihr gekräuseltes Schamhaar, das schwarz und dicht ist wie Nerz.
    Sie denkt an ihren ersten Tag in Russland, als man sie nackt auszog und ihr die alten Kleider wegnahm. Als man ihr ein federleichtes Seidenhemd und ein Brokatkleid anzog. Sie denkt an die Trauung in der Kathedrale der Jungfrau von Kasan, wo sie neben Peter stand und der Erzbischof sie

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