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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Allein der Gedanke an das Blumenwasser löst Brechreiz bei ihr aus.
    Â»Sophie ist meine Tochter«, faucht Maman. »Wie kann eine Frau, die keine eigenen Kinder hat, besser wissen als ich, was zu tun ist?«
    Â 
    Der Schlitten der Kaiserin fährt in einem Wirbel aus Schnee vor dem Palast vor. Ein kläffender Hund wird verjagt. Er jault auf, als die Peitsche des Kutschers ihn trifft.
    Türen öffnen sich. Rosenkranzperlen klicken leise.
    Â»Meine Sophie! Armes Lämmchen, was haben die mit dir gemacht? Kaum bin ich ein paar Tage weg, passiert so etwas.«
    Die Dienstboten lugen durch Türspalte oder hinter Wandschirmen hervor, gespannt auf das Schauspiel kaiserlichen Zorns, solange er sich nicht gegen sie selbst richtet. Was sehen sie? Auf welcher Seite stehen sie?
    Â»Wenn man mal einen Moment nicht aufpasst, gehen Vernunft und Anstand zum Teufel.«
    Das zielt auf Maman.
    Maman, diese deutsche Schlampe, die den ganzen Tag nur ans Ficken denkt und der es egal ist, ob ihr Kind stirbt oder am Leben bleibt.
    Â»Und Sie haben auf sie gehört, Dummkopf«, faucht sie, als der Doktor stammelnd erklärt, warum er die Patientin nicht zur Ader gelassen hat. »Wollten Sie auch, dass ich erst zur Beerdigung zurückkomme?«
    Die Kaiserin schreitet durchs Krankenzimmer. Ihre Röcke rascheln, ihre Absätze klacken auf dem Parkett. »Holt Lestocq«, kommandiert sie. »Er ist der Einzige, dem ich traue.«
    Die Mädchen schwirren diensteifrig um sie herum. Eine trägt einen Korb, der mit einem weißen Tuch zugedeckt ist. Eine andere bringt eine Ikone. Eine Katze miaut. »Hat irgendjemand so viel Verstand gehabt, einen Pastor zu rufen? Oder habt ihr bereits einen Sarg für sie bestellt?«
    Maman steht auf der anderen Seite des Betts. Chevalier Bezkoy hinter ihr zieht sich unauffällig zurück.
    Wo ist Peter? Glaubt er, seine Verlobte liege im Sterben? Trauert er um sie? Ist sie ihm egal?
    Sophie hat die Augen geschlossen. Schniefende Geräusche
dringen an ihr Ohr. Das muss Peter sein. Ein leises Ächzen verrät, wie unwohl ihm zumute ist.
    Sie sind alle da und sehen zu.
    Â 
    Die Tür geht auf, und Graf Lestocq wird gemeldet. Er stürmt herein. »Ich bin sofort hergeeilt, als ich es hörte, Majestät«, murmelt er.
    Durch die offene Tür weht ein eiskalter Luftzug herein.
    Der ehemalige Liebhaber der Kaiserin, der ihr auf den Thron Russlands geholfen hat, hebt einen Zipfel der Bettdecke hoch und entblößt einen zierlichen, wohlgeformten Fuß.
    Die scharfe Lanzette öffnet eine Vene oberhalb des Knöchels. Es tut weh, aber nicht zu sehr. Blut fließt über ihre Haut. Eine Binde wird straff um den Fuß gewickelt. Zuerst spürt Sophie keine Veränderung, aber dann überkommt sie ein Gefühl der Leichtigkeit. Ein leichter Schwindel, durchzuckt von blauen und grünen Strahlen. Ihr Herzschlag wird ruhig, sie atmet tief und regelmäßig.
    Sophie öffnet die Augen gerade weit genug, um zu sehen, wie die Kaiserin sich über das Bett beugt. Die Wangen sind nicht gepudert. Ein Schneidezahn ist gesplittert und dunkel verfärbt. Die blassen Lippen murmeln ein russisches Gebet, das Sophie nicht recht versteht.
    Maman bekommt gar nicht mit, was gerade passiert, sie denkt einzig daran, ihre Unschuld zu beteuern. »Meine Tochter, Majestät, litt nur unter einer Magenverstimmung. Sie war keinen Augenblick lang in ernster Gefahr.«
    Â»Genug, Undankbare«, zischt die Kaiserin. »Sehen Sie Ihr Kind an. Sehen Sie, wie blass sie ist.«
    Die Instrumententasche wird mit einem vernehmbaren Klicken geschlossen. Das ist der ideale Moment, die Augen zu öffnen, die Finger zu entkrampfen, sich, auf die Ellbogen gestützt, etwas aufzurichten. Sich von Maman abzuwenden, die Ohren vor ihrem hysterischen Stöhnen zu verschließen, zu ignorieren,
dass sie auf die Knie fällt, während ein Schauder durch ihren Körper fährt, als müsste sie gegen ihre Schmerzen ankämpfen.
    Man kann ohne Worte vieles sagen. Man kann andere davon überzeugen, dass man nicht der ist, für den sie einen gehalten haben. Man kann sie dazu bringen, das Bild, das sie sich gemacht hatten, vollkommen umzukrempeln. Neben der Kaiserin, die wie ein Felsblock dasteht, ist Maman nur eine leere Muschelschale – hübsch, aber hohl und mit einem einzigen Tritt zu zermalmen.
    Â»Ich habe eine Bitte, Majestät.«
    Den kaiserlichen

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