Die Zarin der Nacht
Baden, Hessen und dem Rheinland spricht, die sie eingeladen hat, in Russland zu siedeln.
Solide, neu. Pavillons, Statuen, Brücken, Wohnungen, Paläste, Gartenanlagen.
Die Wörter Unmengen und Steigerung benutzt sie oft.
Wenn alle Summen berechnet und die Verluste abgezogen sind, ergibt sich eine beachtliche Bilanz.
Grischenka kommt und geht. Seine Besuche sind ihr willkommen und zugleich ärgerlich. Er fordert Zeit und Raum. In ihren Arbeitsräumen und in ihrem Boudoir. Manchmal schlafen sie miteinander â eher als Geste ihrer gegenseitigen Besitznahme denn als Ausdruck ihrer Lust â, doch meistens beklagen sie den chaotischen Lauf ihrer Tage.
Das Kerzenlicht ist freundlich zu ihren alternden Körpern, betont das Schimmern der Haut, nicht die Falten. Wenn es nach den Gerüchten geht, die ihre Spione in den Salons und auf den StraÃen aufschnappen, so sind sie unersättlich. Sie stöÃt ihre Tür auf, ruft einen Gardisten nach dem anderen herein, der ihr zu Diensten sein muss. Schickt alle wieder fort, die ihr nicht schnell genug Vergnügen schaffen können. Seine Frauen, seine
Sultaninnen, liegen als Odalisken drapiert auf Ottomanen und erwarten seine Ankunft. Er hat für sie antike Vasen mit kostbaren Steinen füllen lassen, in die sie ihre parfümierten Hände tauchen. Er hat Porzellanabgüsse von seinem erigierten Penis machen lassen und schenkt sie abgelegten Liebhaberinnen zur Erinnerung.
»Bist du wirklich so vulgär, Grischenka?«
»Würde es dich denn überraschen?« Er zwinkert und grinst so kindlich vergnügt, dass sie lachen muss.
Sie können die Gedanken des anderen zu Ende denken. Sie sorgen sich umeinander. Sie besteht darauf, dass er im Winter schwerere Pelze und Mäntel trägt. Er findet, dass sie zu hart arbeitet. Sie ist immer noch nicht schonungslos genug in der Einschätzung der Fähigkeiten von Menschen. Glaubt an Potenzial, wo sie nach Beweisen erbrachter Leistungen verlangen sollte. »Ich werde mich nach einem anderen Sekretär umsehen«, verspricht er. »Habe ich nicht Lanskoj für dich gefunden?«
*
Sascha Lanskoj ist jetzt ihr Favorit. Er verschlingt gierig alle Art von schöner Literatur, aber auch historische und philosophische Werke, interessiert sich für die bildenden Künste. Ein grenzenloser Drang nach Wissen in allen Bereichen besten menschlichen Strebens zeichnet ihn aus, so beschreibt sie ihn in einem Brief an Grischenka. Er ist fröhlich, aufrichtig und sehr lieb.
Sie nennt ihn Saschenka.
Ihr erstes Geschenk an ihn war eine prächtig gebundene Ausgabe von Algarottis Newtons Theorie für Damen, ein Buch, das nicht allein das Wesen des Lichts und der Farben zu erklären verspricht, sondern auch demonstriert, dass ein offener Geist schale Erkenntnisse früherer Zeiten prüfen und verwerfen kann.
Lewizki, der den Auftrag bekommen hat, ihn zu malen, beklagt sich darüber, dass Saschenka einfach nicht stillstehen kann. »Er hüpft die ganze Zeit umher, Majestät, sodass ich seine erhabenen Züge gar nicht richtig wiedergeben kann.«
Das fertige Bild ärgert sie, aber sie kann nicht sagen, was es ist, das sie so reizt. Ihre Büste hinter Saschas rechtem Arm, ein marmornes Gesicht mit leeren Augen und einem Doppelkinn? Dass Saschas Hose so indezente Falten wirft? Die gigantische Quaste in unmittelbarer Nähe seines Schritts? Und der Degengriff ragt steil empor. Aber Lewizki wird es doch wohl nicht wagen, Andeutungen zu machen?
»Eine groÃartige Darstellung«, hat Saschenka ausgerufen. Da er so begeistert ist, bringt sie es nicht über sich, ihren Argwohn auszusprechen.
Auch Alexander ist fasziniert von dem Porträt. Er ist erst sieben und sehr zutraulich. Ohne Scheu fasst er ständig ihre Hand und stellt Fragen.
»Ist er dein Mann, GroÃmama?«
»Nein.«
»Warum trägt er eine Perücke?«
»Weil er schön aussehen will.«
»Und warum will er schön aussehen?«
»Weil er will, dass andere Leute Respekt vor ihm haben.«
»Sehe ich auch schön aus?«
»Ja.«
»Obwohl ich keine Perücke trage?«
»Ein kleiner Junge braucht keine.«
»Liebst du ihn?«
»Ja.«
»Mehr als mich?«
»Was für ein Unsinn! Du bist mein Prinz, mein kleiner Ritter. Niemand ist so wie du.«
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Der Sommer ist ein Betrüger. Seine Wärme täuscht Güte vor, aber er
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